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Publikationsdatum
7. August 2019
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Viele Konsumenten lassen sich von technischen Daten und vollmundigen Ausdrücken – wenn möglich unterstützt von grafisch ansprechenden Logos – beeindrucken. Das war schon immer so, doch nimmt es in letzter Zeit – vor allem im Musikbusiness – immer groteskere Formen an.

Schauen wir kurz zurück: Die ersten (brauchbaren) digitalen Studiorecorder kamen 1978 auf den Markt, vier Jahre vor der ersten CD. 1984 wurde die erste DDD-CD (Peter Gabriel IV – «Security») veröffentlicht. Alles, was vor 1979 aufgenommen wurde, ist im Original garantiert analog. Und alles vor 1958 bestimmt mono.

Musik oder Technik?

Nun gibt es technisch sowie musikalisch qualitativ gute und schlechte Aufnahmen. Leider existieren nicht viele Musikkonserven, die sowohl technisch als auch musikalisch Aussergewöhnliches zu bieten haben. Was nützt die ausgefeilteste Technik, der bester Tonmeister, der akustisch perfekte Raum, wenn die musikalische Darbietung das Mittelmass nicht übersteigt oder der/die SängerIn gewisse Noten nicht trifft? (OK, das letztere Problem kann dank Digitaltechnik heute problemlos korrigiert werden). Oder soll ein musikalisch relevantes, einmaliges Dokument, dessen Aufnahme jedoch eigentlich unbrauchbar ist, da verzerrt, übersteuert und tonqualitativ unrettbar, digital überarbeitet und als Hi-Res-Audio vermarktet werden dürfen?

Unter den zahlreichen Aufnahmen aus den 40er bis 60er Jahren, einer der Blütezeiten des Jazz, gibt es viele musikalische Perlen, die nach heutigem Standard vertretbar, jedoch nicht perfekt aufgezeichnet wurden; z. B. die Live-Aufnahme von Ray Charles «Makin’ Whoopee». Diese Interpretation und die Reaktion des Publikums sind einmalig. Meiner Ansicht nach benötigt eine solch lebendige Aufnahme kein «Facelifting», ausser, man will sie, auf 24 Bit aufgemotzt, als Hi-Res-Version erneut vermarkten.

Zudem gibt es aus jenen Jahren viele erstaunlich gut klingende Aufnahmen von hervorragenden Künstlern, die gar nicht restauriert werden müssen, da sie uns schon als 44.1/16 CD begeistern. Da wäre z. B. die 1959 erschienene LP «Hamp’s Big Band» mit dem Untertitel «A Study In HiFidelity Sound», eine der ersten (meiner Ansicht nach aussergewöhnlich gut aufgenommenen) Stereo-LPs, die heute z. B. bei Qobuz in vier Varianten zu hören ist. Keine der vier hat die Bezeichnung Hi-Res-Audio. Alle sind sie in CD-Qualität 44.1/16, doch diesmal klingt die «Digitally Remastered»-Version von A-Jazz Records wirklich überzeugender als das Original (die Stücke sind dieselben, nur die Reihenfolge wurde verändert).

Zum Vergleich das Original ...

... und die überarbeitete Version

Auf der Version von Audio Fidelity finden wir noch ein 13. Stück («Blue Lou»), das weder auf dem Original noch auf der A-Jazz-Version zu finden ist; tonmässig ist sie identisch mit dem Original. Auch auf der Version von Jasmine Records ist dieses Stück nicht zu finden, dafür sind neun zusätzliche «Bonus Tracks» angehängt, die jedoch nicht von derselben Aufnahmesession stammen und qualitativ völlig abfallen.

Für den Vergleich aller vier Angebote bei Qobuz einfach «Hamp’s Big Band» ins Suchfeld eingeben.

Digitally Remastered

Ein Verkaufsargument, das leider keine Qualitätsvorgaben kennt und somit überall verwendet werden kann, ist die digitale Aufbereitung alter Aufnahmen.

Es gibt eine grosse Anzahl ausgezeichneter, mit viel Know-how und Liebe überarbeiteter Beispiele (im Jazz u. a. von Verve).

Der Aufwand für ein verbesserndes Remastering ist riesig: Man muss im Besitz der analogen Originalbänder sein sowie eine perfekt kalibrierte, auf diese Bänder eingestellte Tonbandmaschine in einem idealen und bestens ausgerüsteten Abhörraum zur Verfügung haben. Mit analogen Tonbandgeräten verbunden sind Probleme wie verschmutzte Tonköpfe, magnetisierte Metallteile (Umlaufrollen, Bandführungsstifte usw.) und Tonköpfe, Rauschen (bekämpft mit Dolby A resp. B oder DBX), Gleichlaufschwankungen, Geschwindigkeitsdifferenzen und Überspielverluste, um nur einige zu nennen.

Im Weiteren sollte man über ein grosses musikalisches Wissen, guten Geschmack und ein superbes Gehör verfügen. Wenn z. B. Louis Armstrong einen Titel immer in Bb-Dur spielte und nun plötzlich eine Aufnahme derselben Nummer irgendwo in der Nähe von A-Dur vorliegt, muss man erkennen und akzeptieren, dass sich irgendwann im Kopierprozess ein (Geschwindigkeits-)Fehler eingeschlichen hat und dieser nun behoben werden sollte – was digital problemlos möglich ist, aber eben gehört und gemacht werden muss (vergl. «Oldies but Goodies #9/Enttäuschendes Remastering».)

Es gibt leider auch zu viele schlechte Beispiele: Eine übersteuert aufgezeichnete Aufnahme lässt sich (wie schon erwähnt) auch im digitalen Prozess nicht «entzerren». In diversen Rezensionen wies ich darauf hin, dass es eine Unzahl von Streams gibt, die meiner Meinung nach zu Unrecht unter dem Titel «Hi-Res» und «Digitally Remastered» als hochauflösende 24-Bit-Aufnahmen angeboten werden; ein typisches Beispiel ist die eben neu aufbereitete «Django Reinhardt - The Art of the Jazz Guitar».

Jeder kann heute mit einem einfachen Computerprogramm eine Musikaufnahme, sogar ein MP3-Stück, innert Minuten in eine 96kHz/24-Bit-Datei «verwandeln»; der Klang verbessert sich dadurch nicht.

Fazit: Lassen Sie sich nicht veräppeln

Zweifelsohne gibt es Audioproduktionen, die in hochauflösender Version luftiger, transparenter … einfach besser klingen. Doch das Label «Hi-Res» oder die Bezeichnung «Digitally Remastered» sind absolut keine Garantie für eine technisch gute Aufnahme, geschweige denn für einen musikalischen Leckerbissen. Es sind einfach Marketing-Tools.