MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
18. Juni 2025
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Es war eigentlich ein Zufall (sofern es Zufälle gibt), der Paul Desmond und Jim Hall zusammenführte. September 1959: Jim Hall, Connie Kay und Percy Heath waren eben von ihrem Einsatz beim Lenox Jazz Workshop nach NYC zurückgekehrt und wollten nach Wochen des Unterrichtens ihre Kreativität zusammen «ausleben».
Paul Desmond hatte gerade die Aufnahmen des «Time Out»-Albums mit dem Dave Brubeck Quartet abgeschlossen.

Es wird erzählt, dass Percy Heath die Gelegenheit von günstigen Nachttarifen in einem Aufnahmestudio ergriff und Paul Desmond zu einer «Jam Session» einlud. Dieses erste Zusammentreffen führte zu vier weiteren Studioalben und einer jahrelangen Freundschaft von Jim Hall und Paul Desmond.

Paul Desmond (1924–1977)

Paul Emil Breitenfeld kam am 25. November 1924 in San Francisco zur Welt. Sein Vater Emil Breitenfeld war Pianist, Organist, Komponist und Arrangeur, begleitete Stummfilme in Kinos und arrangierte Musik für Theateraufführungen. Pauls Grossvater Sigmund Breitenfeld, ein Arzt, war 1885 aus Tschechien (Böhmen) in die USA emigriert. Da Pauls Mutter (mit irischen Wurzeln) unter mentalen Problemen (OCD) litt, verbrachte der Neunjährige über fünf Jahre bei Verwandten in New Rochelle (NY).

Mit zwölf begann Paul Klarinette zu spielen, was er auch nach seiner Rückkehr nach San Francisco weiter pflegte. Eigentlich wollte er danach auf Violine umsteigen, doch sein Vater riet ihm davon ab: «Als Geiger wirst du verhungern». Neben seinem musikalischen Hobby begann Paul Texte zu verfassen, entdeckte sein Interesse am Journalismus und wurde Co-Editor der Highschool-Zeitung. Er wurde bekannt und bewundert wegen seines Bob-Hope-Interviews.

Am SF State College schloss er sein Englischstudium ab. Während dieser Zeit begann er auch Altsaxofon zu spielen, was ihm ermöglichte, bei der Rekrutierung der Armee in die Militärmusik eingeteilt zu werden. Er wurde nie in Kriegszonen gesandt.

Nach der Entlassung aus dem Militär 1946 änderte Paul E. Breitenfeld seinen Namen zu Paul Desmond. Er hatte schon früher mal erwähnt: «Falls ich mich je dazu entscheiden sollte, meinen Namen zu ändern, wird es Desmond sein … so gepflegt und doch so selten».

Interessant war sein Verhältnis zu Dave Brubeck, den er erstmals 1944 in der Army-Band traf, und für den er schon kurz nach dem Krieg arbeitete: Nach einem heftigen Streit mit Brubeck versuchte Desmond, nachdem er 1950 das Dave Brubeck Trio gehört hatte, die Wogen zu glätten, doch es war schliesslich Brubecks Frau Lola, die die beiden wieder vereinte. So entstand das Dave Brubeck Quartett, das offiziell von 1951 bis 1967 existierte und enorm erfolgreich wurde.

Paul Desmond ist auf unzähligen Alben zu hören, mit dem Dave Brubeck Quartett, unter eigenem Namen und als Gast bei anderen Gruppen.Paul Desmond ist auf unzähligen Alben zu hören, mit dem Dave Brubeck Quartett, unter eigenem Namen und als Gast bei anderen Gruppen.

Desmond hatte genügend Gelegenheiten, auch mit anderen Musikern zu spielen. Einer davon war der Baritonsaxofonist Gerry Mulligan, mit dem er zwei Studioalben aufnahm. Von 1959 bis 1963 entstanden zudem die oben erwähnten Studioalben mit Jim Hall. Die beiden gaben diverse Konzerte, zuletzt 1971 im Half Note in NYC. Im selben Jahr trat Desmond auch mit dem Modern Jazz Quartet für ein Weihnachtskonzert in der New York Town Hall auf.

1974 traf Paul Desmond (auf eine Empfehlung von Jim Hall) den kanadischen Gitarristen Ed Bickert und trat mit ihm in der Folge in diversen Jazzclubs in Toronto auf. Die Live-Aufnahmen von 1975 wurden vor ein paar Jahren restauriert, in einer 7-CD-Box veröffentlicht und wären absolut empfehlenswert, nicht zuletzt auch wegen des Bassisten und Multitalents Don Thompson. Sie sind jedoch schwer zu finden. Bickert spielt übrigens auch auf dem Album «Pure Desmond» (1975). In den folgenden zwei Jahren arbeitete Desmond mit Chet Baker zusammen.

Paul Desmond war sehr belesen, blitzgescheit und witzig, jedoch recht zynisch. Obgleich er nie wirklich drogenabhängig war, genoss er ab und zu LSD oder später Kokain. Seine wirklichen Laster waren jedoch «Pall Mall»-Zigaretten und Scotch-Whisky. Letzteres kann ich persönlich bezeugen, da ich als junger Student mit dem Dave Brubeck Quartett dinieren durfte. So erstaunte es nicht, dass Paul Desmond 1977, 52-jährig, an Lungenkrebs starb. Da er (trotz kurzer Ehe) keine Nachkommen hinterliess, vermachte er sämtliche Erträge aus seinem Kompositions-Hit «Take Five» dem Roten Kreuz.

Das Album kam unter diversen Namen auf den Markt; hier nur sechs von unzähligen Album-Covers. «First Place Again» bezieht sich übrigens auf den jährlichen «Downbeat»-Poll und die Leserumfrage des «Playboy»-Magazins: bester Jazz-Saxofonist des Jahres!Das Album kam unter diversen Namen auf den Markt; hier nur sechs von unzähligen Album-Covers. «First Place Again» bezieht sich übrigens auf den jährlichen «Downbeat»-Poll und die Leserumfrage des «Playboy»-Magazins: bester Jazz-Saxofonist des Jahres!

«East of the Sun»

Die hier besprochene Version umfasst die sieben Stücke, die auf der Original-LP und allen Alben zu finden sind, teilweise in unterschiedlicher Reihenfolge. Dazu kommt noch die Desmond-Komposition «Susie», die auf der ersten CD-Version als Bonus Track erschienen war.

Die gesamten 45 Minuten sind schlicht hinreissend: Desmond zieht sämtliche Improvisationsregister, erzählt auf seinem Instrument Geschichten und malt Bilder, klingt einerseits cool – der Ausdruck «A Sound like a Dry Martini» soll von ihm stammen – andererseits spielt er so dynamisch, dass auch in der «remastered Version» ab und zu ein besonders hoher Ton wohl leicht übersteuert.

Zusammen mit dem ebenfalls coolen, Desmonds perlende Melodielinien perfekt ergänzenden, die eigenen Soli ebenfalls fantasievoll gestaltenden Jim Hall und dem (wie im Modern Jazz Quartet) eher im Hintergrund agierenden, geschmackvoll sanfte Akzente setzenden Connie Kay entstand ein begeisterndes Ganzes, das kaum nach «Jam Session» klingt, auch wenn es nur wenige abgesprochenen Passagen gibt.

Percy Heath spielt zwar eine saubere, unterstützende Basslinie, doch klingt der Bass meiner Meinung nach am typischsten «zeitgemäss», das heisst, etwas antiquiert. Es kann jedoch auch an der Originalaufnahme liegen, da der Bass auf den meisten Alben jener Zeit (1959!) eher etwas dumpf im Hintergrund gehalten wurde. Doch allgemein sind der Klang sowie der räumliche Eindruck erfreulich gut.

Fazit

Gönnen Sie sich eine Auszeit und entspannen Sie sich bei den (meist) ruhigen, doch nie langweiligen Klängen von Paul Desmonds einzigartigen Improvisationen, perfekt unterstützt von Jim Hall, Connie Kay und Percy Heath.

«East of the Sun» ist eines jener Alben, das einem (zumindest mir) nie verleidet, auf dem man auch nach Jahren wieder neue Nuancen entdeckt und das allgemein gute Laune verbreitet.

STECKBRIEF
Interpret:
Paul Desmond
Besetzung:
Paul Desmond – alto saxophone
Jim Hall – guitar
Percy Heath – bass
Connie Kay – drums
Albumtitel:
«East of the Sun»
Herkunft:
USA
Label:
Monument Records
Erscheinungsdatum:
1959/2023
Spieldauer:
45:40
Tonformat:
FLAC 24-Bit/96 kHz Stereo
Medium:
Download/Streaming
Musikwertung:
9
Klangwertung:
7
Bezugsquellen