
«Das Angebot an günstigen Aufzeichnungsgeräten wächst täglich, fast jedes Handy hat heutzutage diese Funktion, und die «You Tube»-Generation stellt nicht mehr die gleich hohen Qualitätsanforderungen an Video. Deshalb führen wir keine Camcorder mehr in unserem Sortiment», erklärte mir vor kurzem der Filialleiter einer grösseren Warenhauskette. Sind Camcorder effektiv eine aussterbende Geräterasse?
Da mich seit jeher gutgemachte, bewegte Bilder faszinieren - BBC Dokumentationen oder auch die Übertragung der Olympischen Spiele sind Beispiele für hervorragende Qualität - bin ich froh zu sehen, dass auch die Entwicklung bei den Consumer Camcordern nicht stehen geblieben ist und einige wenige Firmen sich nach wie vor mit Verbesserungen profilieren. Panasonic ist eine davon.
HC-X900M
Das Flaggschiff der 2012 Panasonic Consumer Camcorder (oder «HD Camcorder für ambitionierte Filmer», wie Panasonic diese Kategorie nennt) unterscheidet sich von den letztjährigen Modellen auf den ersten Blick nur in Kleinigkeiten und ist minimal grösser und rund 30 g schwerer. Der zweite Blick belehrt uns eines anderen: Die wesentlichste Verbesserung dürfte das neue Leica Dicomar Weitwinkelobjektiv sein, das (umgerechnet auf Foto-Objektive) statt bei 35 mm nun bei 29,8 mm beginnt. Dies ist in vielen Situationen ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Der optische Zoombereich von 12x wurde beibehalten. Der sogenannt «intelligente Zoom» wurde auf 23x erweitert und bietet beeindruckende, beinahe verlustfreie Vergrösserung.
Enorm verbessert wurde die Auflösung des grossen 8,8 cm (3,5 inch) LCD Touchscreens; sie ist mit nun 1,152 Mio Pixel 250% verfeinert.
Lieferumfang
In der bunten Schachtel befinden sich neben dem Camcorder ein Akku, der Netzadapter, der auch als Ladegerät dient, eine Fernbedienung mit Knopfbatterie, ein AV-Multikabel, ein USB-Kabel, eine Gegenlichtblende, ein Blitzschuh-Adapter, eine CD mit PDF-Bedienungsanleitungen in vielen Sprachen, eine CD mit der Windows Software HD Writer AE 4.1 sowie gedruckte Kurzbedienungsanleitungen in diversen Sprachen. Wünschenswert bei einem Gerät dieser Klasse wäre ein MiniHDMI>HDMI-Kabel.
Die Fernbedienung, die so ziemlich alle Funktionen per Knopfdruck anwählen lässt, kann sehr hilfreich sein, zum Beispiel wenn der Camcorder auf ein Stativ montiert ist, oder aber bei der Wiedergabe über einen Fernseher, bei der gewisse Funktionen nur über die Fernbedienung erreichbar sind, wie z.B. das Ausschalten des (gezwungenermassen) geöffneten LCD Displays.

Überblick
Der HC-X900M kommt mit wenigen Schaltern und Knöpfen aus, da die meisten Einstellungen über den grosszügigen Touch Screen erfolgen.
Auf der Handschlaufenseite finden wir unter Abdeckungen Mini-Klinkenbuchsen für ein externes Stereomikrofon und einen Stereokopfhörer. Darüber, ebenfalls abgedeckt, der Einschub für den mitgelieferten Zubehörschuh, der nach meinem Dafürhalten etwas unglücklich platziert ist ... aber wo sonst?
Unter einer weiteren Abdeckung unmittelbar neben dem Sucher befindet sich der Anschluss für das im Lieferumfang enthaltene Netzgerät zum Aufladen des Akkus und für längere Arbeiten. Darüber ein dreiweg Schiebeschalter: Wiedergabe, Video, Foto.

Auf der Rückseite, leicht mit dem Daumen erreichbar, der Video-Start/Stopp-Knopf. Der Sucher ist nur ausgezogen aktiv und ist eine der Ein-/Ausschaltmöglichkeiten.
Auf der Oberseite, gleich nach dem Sucher (der sich in diversen Situationen als enorm hilfreich erweist und den ich persönlich nicht missen möchte) ist der Auslöser für Fotos. Gleich davor die Wippe, die im Video- und Fotomodus den Zoom verändert, im Playmodus entweder die Miniaturbildanzeige oder die Wiedergabelautstärke beeinflusst.

Links davon befinden sich zwei wichtige Taster: Der Umschalter zwischen iA (intelligent Automode) und manuell sowie der Ein-/Ausschalter der Bildstabilisierung O.I.S. (wenn man z.B. ab Stativ filmt).
Im vorderen Bereich fällt auf der Oberseite das 5.1-taugliche Zoom Mikrofon auf, das (wenn «Surround» als Audioformat gewählt ist) effektiv 4 Audiospuren aufzeichnet, die (je nach Bearbeitungssoftware) nachträglich separat bearbeitet werden können.
Eines der Bedienungshighlights der Panasonic Camcorder blieb auch den neuen Modellen erhalten, der manuelle Multifunktionsring, mit dem man Bildschärfe, Weissabgleich, Verschlusszeit oder Blendeneinstellung manuell optimieren kann. Welche der vier Funktionen verändert werden soll, lässt sich entweder über die Taste «Camera Function» oder auf dem Touchscreen einstellen.
Unter dem Display

Öffnet man das LC-Display, ist der Camcorder innert kürzester Zeit aufnahmebereit. Und nun werden noch weitere Bedienelemente und Anschlussbuchsen sichtbar: Ein Ein-/Ausschalter, der direkte Wahlschalter für 1080/50p, die MiniHDMI-Buchse, die AV Multi Buchse (Spezialkabel liegt bei) sowie die Mini-USB-Buchse.
Interessanterweise wird der Akku nicht nach unten sondern nach links ausgefahren, was nur bei geöffnetem Display, dafür auch bei Montage auf einem Stativ mit grosser Grundplatte möglich ist.
Hinter der relativ grossen Öffnung verbirgt sich der Lüfter, unter den kleinen Löchern links daneben sitzt der Mini-Lautsprecher.
Vor dem Einsatz
Bevor man mit dem X900M loszieht, sollte man einige Einstellungen im Aufnahmemenü überprüfen und den persönlichen Bedürfnissen anpassen.

Im Videomodus muss man sich entscheiden, welche Qualitätsstufe man wünscht: Es stehen vier Varianten 1920 x 1080/50i zur Verfügung, HA, HG, HX und HE. Der Unterschied wird von Panasonic nicht detailliert erläutert, nur die Durchsatzraten (alle mit VBR = variable bitrate) stehen zur Verfügung: HA verbraucht 17 Mbps, HG 13 Mbps, HX 9 Mbps, HE 5 Mbps.
Daneben gibt es 1080/50p, iFrame 960 x 540 (25p) und AVCHD 3D (1080/50i), die 28 Mbps verschlingen und SbS 3D, ein 3D Format das 17 Mbps speichert.

Ob dieser beachtlichen Unterschiede was Speicherplatz angeht, sollte man seine eigenen Bedürfnisse kennen, die nur mit eigenen Testversuchen eruiert werden können. Auch bei Panasonic waren die sichtbaren Qualitätsunterschiede der diversen Stufen, je nach Motiv und Einsatzart, klein. Nach wie vor gilt, dass höhere Bitraten nicht nur mehr Speicherplatz benötigen, sondern auch zur Nachbearbeitung einen leistungsfähigeren Rechner benötigen. Und nur die neusten BluRay Player sind fähig, 1080/50p wiederzugeben.
Im Fotomodus können wir aus drei Formaten auswählen: 4:3, 3:2 und 16:9. Je nachdem stehen dann verschiedene Bildgrössen zur Verfügung, die sich zwischen 16 MP und 0,3 MP bewegen. Wie Panasonic auf die 16 MP kommt, ist mir nicht ganz klar, werden doch in den technischen Daten als effektive Pixelzahl für Fotos im 3:2 Format 7,11 Megapixel angegeben. Im Videomodus und Fotos im 16:9 Format stehen 6,21 MP zur Verfügung.
Bedienung
Die erste Kontaktnahme ist überraschend positiv: Die matte, gerillte Oberfläche fühlt sich angenehm an, ist rutschfest und hinterlässt keine Fingerabdrücke. Eine Wohltat gegenüber den modischen Hochglanzgeräten.
Camcorder kann man auf verschiedene Arten halten. In der konventionellen «Sucherstellung», die auch mit dem LCD gut funktioniert, ist vor allem auch der Einhandbetrieb möglich. In dieser Haltung ist der Daumen genau auf der Start/Stopp Taste, der Zeigefinger auf der Zoomwippe und auch die Bedienung des Frontrings ist problemlos. Doch kann je nach Handgrösse der kleine Finger die Mikrofonabdeckung berühren, Nebengeräusche erzeugen oder die Audioqualität beeinflussen.

Was mir im ersten Einsatz auffiel, war der Druckpunkt der Start/Stopp Taste, die etwas «schwergängiger» ist, als bei anderen, mir bekannten Camcordern. Man tut gut daran, sich im Display des Status (Standby oder Aufnahme) zu versichern, bis man sich an den Camcorder gewöhnt hat.
Die zweite Idealhaltung ist mit beiden Händen auf Bauchhöhe, wobei Start/Stopp per Daumen auf dem Display aktiviert wird. Bei langen Einstellungen ist diese Haltung weniger ermüdend und mit diesem Camcorder perfekt.
Der X900M Benützer dürfte sich die Zeit nehmen, alle manuellen Möglichkeiten zu studieren und auszuschöpfen. Die iA funktioniert zwar gut, lässt jedoch in verschiedenen Situationen Raum zur manuellen Verbesserung. Gerade bei Innenaufnahmen mit wenig Licht konnte ich mit der Korrektur des Weissabgleichs und der Blendenöffnung einiges mehr aus der gleichen Aufnahme herausholen.

Einem kleinen Problem sollte Panasonic noch seine Aufmerksamkeit widmen: Wenn man nach einer Aufnahme das LC-Display schliesst und die Kamera nach unten dreht, öffnete sich während meiner Testphase mehrmals das Display durch diese Bewegung und der Camcorder wurde eingeschaltet. Entweder sollte der Öffnungsmechanismus härter eingestellt werden können, oder Magnete sollten das Display besser geschlossen halten.
Halbmanuell durchdacht
Die iA (=intelligente Automatik) macht ihrem Namen alle Ehre. Zwei Beispiele:
Bei einem so gut funktionierenden Steadyshot gibt es Situationen, in denen man diese Funktion kurzzeitig deaktivieren möchte, z.B. bei einem Schwenk. Auch für solche Anliegen hat Panasonic vorgesorgt und stellt im Display einen Touchbutton zur Verfügung mit eben dieser Funktion: Solange man diesen Button berührt, ist der Steadyshot inaktiv, lässt man ihn los, schaltet er sofort wieder ein.
Auch die AF/AE Spurhaltung ist hilfreich, wenn man ein Objekt oder eine Person «verfolgen» will: Zuerst wird das AF/AE Symbol berührt, dann das Objekt, dann wird die Aufnahme gestartet. Nun regelt der X900M automatisch die Schärfe (Autofokus) sowie die Blende.
Bildqualität
Im Prosumer-Videobereich habe ich was Schärfe und Detailtreue betrifft, bis anhin nichts besseres gesehen - da scheint mir die 3MOS Technologie von Panasonic (wenn auch nichts wirklich neues) hervorragend.
Das neue Weitwinkel Leica Objektiv mit dem optischen 12x Zoom ist ebenfalls Spitze und sogar im 23fachen «intelligent Zoom» sind die Bilder noch ausgezeichnet.
Was die Farbechtheit betrifft, ist die Beurteilung etwas schwieriger, hängt sie doch auch vom Abspielmedium resp. vom Bildschirm/Fernseher ab. In meinem Erfahrungsvergleich wirkten die Panasonic-Aufnahmen im Freien etwas flau und eher blaustichig. Schade, dass ich hier (ausser manuellem Weissabgleich) keine einmalige Kalibrierung für einen Hauch mehr Kontrast und etwas weniger Blau (resp. ein Mü mehr rot) gefunden habe.

Die Steadyshot-Funktion (O.I.S.) ist verglichen mit derjenigen der Sony HDR-PJ260VE (Test hier), in Extremfällen wie «gehen» etwas weniger effizient. Ich versuchte, das Beispielvideo von jenem Test nachzustellen.
Enttäuscht hat mich die Fotoqualität (ok, dies ist ein Camcorder). Die 4 bis 6 MB grossen JPEG Bilder sind in 100% Auflösung eher flach, zeichnen Details nicht eben scharf, und auch die Farben sind nicht immer konstant.

Audio
Etwas skeptisch war ich, als ich die Mikrofonanordnung auf der Oberseite sah. Doch meine Skepsis erwies sich als unbegründet, zeichnet der X900M in sämtlichen Einstellungen natürlich wirkenden Sound auf. Für Interviews benötigt man ohnehin ein externes Mikrofon oder benützt sogar einen separaten Audiorecorder. Erwähnenswert: Der Aufnahmepegel lässt sich manuell ±6 dB den Umständen anpassen.
Ein Miniproblem möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen: Bei Naturaufnahmen irritierte mich das leise Sirren des Lüfters, das jedoch normalerweise vom Umweltlärm überdeckt wird.
Speicher
Der HC-X900M hat 32 GB internen Speicher sowie ein SD-Kartenfach für Karten bis zu 64 GB. Panasonic weist darauf hin, dass man in jedem Fall regelmässige Backups der Speichermedien auf PC und/oder DVD machen sollte. Als mögliche Datenkiller werden statische Elektrizität, elektromagnetische Wellen und mechanische Beschädigung angegeben. Der interne Speicher kann einfach mittels beigelegtem USB-Kabel entweder auf die Festplatte eines Rechners (PC oder Mac) oder einen externen DVD Recorder (z.B. von Panasonic) kopiert werden. Er lässt sich im Camcorder auch auf eine SD Karte kopieren.
Mit den internen 32 GB können (laut Panasonic) 2 h 40 min in bester Qualität (1080p), 5 h 30 min in HG Qualität und 13 h 40 min in HE, der «schlechtesten» FullHD-Qualität aufgezeichnet werden. Oder es finden etwa 3700 Bilder in bester Auflösung auf 32 GB Platz.
In Anbetracht dieser Möglichkeiten frage ich mich immer wieder, wieso Camcorderhersteller so mickrig sind, wenn es um den mitgelieferten Akku geht. Damit kann man nur etwa 50 Minuten filmen (im Dauerlauf ohne Zoombenützung bis zu 1 h 15 min). Ich empfehle dringend die Anschaffung eines zusätzlichen, wenn möglich grösseren Akkus.
Zukunftgerüstet

Auch zu der neuen Topcamcorderserie liefert Panasonic einen 3D Adapter, der mir allerdings für diesen Test nicht zur Verfügung stand. Laut Handbuch gibt es einige Fakten zu beachten:
- 3D Aufnahmen benötigen gleich viel Speicherplatz wie 1080p, werden jedoch in AVCHD 3D (1080/50i) aufgezeichnet.
- Da das 3D-Bild im nebeneinander angeordneten Format aufgenommen wird, hat das aufgezeichnete 3D-Bild keine High-Definition-Qualität.
- 3D Aufnahmen können ohne Spezialbrille auf dem LCD-Display betrachtet werden. Bei der Wiedergabe über einen 3D-tauglichen Fernseher benötigt man je nach System das erforderliche Zubehör.
Wer also in Zukunft eigene 3D-Videos drehen möchte, ist mit der X900M bestens darauf vorbereitet.
Modellvarianten
In der Schweiz werden von Panasonic drei beinahe identische Modelle in der Topreihe angeboten.
Der HC-X909 verfügt über keinen internen Speicher, während beim Modell HC-X800 mehr Abstriche gemacht werden müssen: Kein interner Speicher, kein Sucher, kein Zubehörschuh, keine Infrarot Fernbedienung, weder Mikrofon noch Kopfhöreranschluss, kein 5.1 Surround Audio («nur» Stereo). Der optische Bereich ist bei diesen drei Modellen jedoch identisch.
Fazit
Der HC-X900M ist ein würdiges Prosumer-Camcorder-Flaggschiff mit einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis. Hervorragende Videoqualität und viele manuelle Gestaltungsmöglichkeiten machen die Topserie von Panasonic zu den wenigen Favoriten und bilden eine Art Messlatte in dieser Klasse.
Meine eingestreuten Vorbehalte sind nicht für alle Interessenten von gleicher Bedeutung und dürften in Anbetracht der gebotenen Qualität als journalistische «Haare in der Suppe» beurteilt werden.
Wer sich ernsthaft mit Videos in superber HD-Qualität beschäftigt, wird sich an den neuen Panasonic Topmodellen erlaben.