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Warum die Urheber so schlecht wegkommen und warum sich das ändert

Vor dem Zweiten Weltkrieg war es noch völlig unüblich, Songschreiber und Musiker am Verkaufserfolg der Veröffentlichung zu beteiligen. Aufnahmesessions wurden einmalig entschädigt, und damit gehörte alles dem Musiklabel. Die Komponisten und Songschreiber bekamen zwar mit der Zeit Copyrights, die sie aber regelmässig an die Musiklabels (Musikverlage) verkauften. In den USA kann man das. In Deutschland als Beispiel ist nur die Lizenzierung möglich. In den USA sind die «Songwriters» deshalb oft gar nicht mehr im Besitz ihrer Copyrights oder sie haben sie gar nie angemeldet.

Bis 1989 mussten Copyrights noch explizit angemeldet werden(!). Berühmte Songschreiber verkauften immer wieder einmal die Rechte aller Songs für sehr viel Geld. Chuck Berry verkaufte in den späten 70ern die Rechte an seinem legendären Hit «Johnny B. Good», weil er Geld brauchte. Er hat das bitter bereut. Musiker unterschreiben auch immer wieder schlechte Verträge unter Zugzwang und im Unwissen. Musiker verstanden sich lange Zeit allein als Kreative, als Künstler. Den Geschäftssinn delegierten sie an ihre Manager und Produzenten. Es gab immer Ausnahmen: geschäftstüchtige Musiker und Songwriter. Sie waren kommerziell meist sehr erfolgreich.

Ein Bruchteil aller Interpreten meiner Musiksammlung.Ein Bruchteil aller Interpreten meiner Musiksammlung.

Musikstreaming ist bereits heute die wichtigste Form der Veröffentlichung von Musik. Streamingdienste wie – allen voran – Spotify sind auf die riesigen Kataloge der Musiklabels angewiesen – und diese lassen sich dafür fürstlich entschädigen. Noch. Die Songwriter von heute haben viel mehr Möglichkeiten, ihre Musik in Eigenregie zu vermarkten und ihre Rechte wahrzunehmen und zu verwerten. Sie sind vermutlich auch besser gebildet und verstehen sich als Unternehmer.

Der Anteil der professionellen Musiker (Songwriter), die in den USA ohne ein Musiklabel auskommen, ist seit der Jahrtausendwende rasant auf ca. 50 Prozent gestiegen. Immer mehr Musiker und Songwriter umgehen die Verlage und vermarkten ihre Werke direkt. Dank Digitalisierung, Internet und Social Media ist die Sichtbarkeit gewährleistet und irgendwie auch gerecht. Die Filter von früher sind durchlässiger geworden: Man braucht nicht mehr die Sympathie eines Radiomoderators zu gewinnen, damit das Demotape in irgendeiner Sendung um 23:00 einmal gespielt wird. Auch die Aufnahmetechnik ist viel besser und erschwinglicher. Für gute Demoaufnahmen braucht es keine teuren Tonstudios mehr und das eigene Home-Studio ist rund um die Uhr verfügbar. Die Musiker/Songwriter von heute und morgen haben gute Karten.

Musikstreaming ist langfristig auf dem Vormarsch

Musikstreaming ist eine feine Sache. Die Technologie dazu ist schlicht genial und den Erfindern gebührt Respekt. Ich bekomme zu jeder Zeit über das ganze Jahr sekundenschnell genau das zu hören, was ich will – und das sogar auf der ganzen Welt. Ich kann meine Vorlieben beliebig speichern und die Tonqualität stimmt auch für Audiophile wie mich. Selbst ideologisch verkrampfte alte Männer oder Klassikhörer alter Schule mit grossen CD- und Plattensammlungen geben unumwunden zu, dass es halt schon geil ist, jede gewünschte Interpretation eines Werks – einschliesslich die von Otto Klemperer – anzuhören. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist unschlagbar, und der Besitz von physischen Tonträgern ist langfristig eine Liebhaberei. Ich glaube nicht, dass sich meine Nachkommen meine Schallplatten anhören werden.

Die Musiker allgemein und die Inhaber der Songrechte im Besonderen kommen gerade zu kurz. Sie werden zwischen den Fronten der grossen Verlage (Major Labels) und der grossen Streamingdienste verheizt. Die Major Labels haben noch zu viel Macht. Der Kampf um die Songrechte hat gerade erst begonnen. Unter den Käufern findet man nicht nur die Musikverlage, sondern auch Investorengruppen und generell viele neue Player.

Unter den Verkäufern findet man grosse alte Namen wie David Bowie, Tina Turner und Phil Collins. Selbst ein Teil der Songrechte von Kate Perry waren Litmus Music 200 Millionen Dollar wert. Die neuen Stars werden ihre Rechte gegenüber den Streamingdiensten direkt wahrnehmen – zumindest so lange, bis sie so viel wert sind, dass sich ein Verkauf lohnt (Kate Perry als Beispiel). Das scheint mir vernünftig: Wenn ich mit 30 einen Welthit schreibe, der zum Zeitpunkt meines Todes mit – sagen wir einmal 85 – noch beliebt ist, dann habe ich gut daran getan, die Rechte mit 70 zu vergolden. Die neue Besitzerin kann die Rechte als Unternehmen nach dem Kauf 95 Jahre lang verwerten.

Wenn man Musikstreaming bewertet, muss man langfristig denken und die alten Muster über Bord werfen. Wer sich auf den Plattformen bekannt gemacht hat, wessen Songmaterial beliebt ist und wer die Rechte besitzt, der ist am längeren Hebel. Dann spricht man nicht mehr mitleidig von «Entschädigung», sondern vom Geschäft.

Wie hoch sind die Gewinnchancen?

Es gibt keinen Weg zurück. Dank Musikstreaming ist der Musikkonsum enorm gewachsen. Die Voraussetzungen sind gut, dass alle Marktteilnehmer auf ihre Kosten kommen, so wie sich das in einem gesunden Markt eigentlich gehört. Es stellt sich die Frage, welche Marktteilnehmer überhaupt noch relevant sind. Gerade bei den klassischen Musiklabels habe ich meine Zweifel. Ihre Bedeutung nimmt zusehends ab, auch wenn das noch nicht offensichtlich zutage tritt.

Die Musikkonsumenten sind dank Streamingmöglichkeiten im Moment eindeutig die Gewinner. Wir bekommen zurzeit sehr viel für sehr wenig – à discrétion. Das kann sich ändern und muss sich sogar ändern, denn die Streamingdienste erwirtschaften keinen Gewinn und bezahlen die Songwriter und die Musiker schlecht. Wir befinden uns ja immer noch in der Anfangsphase des Musikstreamings, geprägt von dem Gerangel aller Akteure und den Lockvogelangeboten an die Konsumenten. Die Angebote werden künftig differenzierter ausfallen und die Preise werden steigen, bis das Gleichgewicht im Markt hergestellt ist.

avguide.ch meint

«Mit Propheten spricht man am besten zehn Jahren später.» (Willi Ritschard, ehem. Bundesrat).