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Publikationsdatum
9. September 2023
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Was wir heute als klassische Musik bezeichnen, ist die Hochblüte komplexer Kompositionstechnik, musikalischer Inspiration, Genialität und einer enormen Fülle an Werkgattungen. Grob handelt es sich um einen Zeitraum von rund 200 Jahren der europäischen Musikgeschichte. Mit der Spätromantik des ausgehenden 19. Jahrhunderts beeinflusste parallel der technische Fortschritt auch die Weiterentwicklung der Kunstformen.

Mit der Fotografie wurde die genaue bildliche Darstellung in der Malerei überflüssig. Edison gelang 1877 erstmals ein flüchtiges Schallereignis auf einem Wachszylinder zu konservieren. Emil Berliners Schallplatte ermöglichte die effiziente Vervielfältigung von gespeichertem Schall. Die Plattform für die individuelle Musikwiedergabe im eigenen Heim für jedermann war gegeben. Ein Werk, ein Künstler konnte gleichzeitig an vielen Orten präsent sein – wenn zu Beginn auch eher quäkend denn originalgetreu.

Die ersten Aufnahmen: laut in den Trichter hinein

Ein kleiner Tenor aus Neapel nahm im April 1902 für die Grammophone and Typewriter Company einige Arien auf Wachsscheibe/Schellack auf. Sein stabiles, eher tiefes Tenortimbre eignete sich gut für die damals noch unzulängliche Technik. Er wurde zum Star, sein Name ist heute noch ein Begriff – Enrico Caruso. Das lukrative Plattenbusiness war geboren. Unterhaltungs- und klassische Musik standen dem Musikfreund nun zur Auswahl.

In der Klassikdomäne prägten die ersten Stars das Geschehen: Stokowsky, Horowitz, Artur Schnabel, der erstmals alle 32 Beethoven-Klaviersonaten auf Schallplatte einspielte. Ein mühsames, über vier Jahre dauerndes Projekt.

Die grosse Zeit nach dem Krieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Blüte der grossen Musiklabels wie EMI (Gründer der Abbey Road Studios), Deutsche Grammophon (DG) oder RCA Red Seal und CBS-Columbia aus Amerika. Gefolgt von Philips und Decca. Jedes dieser Labels hatte Top-Dirigenten und Orchester unter Vertrag. DG mit Karajan und Böhm, Decca mit Solti, Philips mit Haitink usw.

Es wurde intensiv produziert. Zuerst in Mono auf Schellack und dann gegen Ende der 50er-Jahre in Stereo auf einem neuen Träger mit kleineren Rillenabmessungen und gesteigerter Tonqualität – auf der Vinyl-Schallplatte. Alles, was vorher schon mal aufgenommen wurde, kam als Neuaufnahme, nun als Stereo-LP, auf den Markt. Jedes Label buhlte um Käufer, jeder Dirigent wollte seine Fassung der Beethoven- oder Dvořák-Symphonien aufnehmen. Koste es, was es wolle. Die Dirigenten und Produzenten hatten die Machtfülle.

Produziert wurde nicht primär nach wirtschaftlichen Kriterien. Eitelkeit war gross im Kurs. Eine gute Zeit und die Erfolge waren enorm. Wagners Ring mit Solti (Decca, 1958–1962) wurde 18 Millionen Mal verkauft. Vivaldis Vier Jahreszeiten, Beethovens Symphonien, Bachs Goldberg Variationen mit Gould erreichten alle den 2-Millionen-Bereich. «Must have»-Werke, wie Vivaldis Jahreszeiten (Kennedy, EMI, 1989), erreichen auch in späteren Boomphasen wieder solche Spitzenzahlen.

Nach dem Fest kommt der Kater

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