
Jubiläen gibt's im Audio-Business sehr häufig. Zur Not jedes Jahr. Dann wird die «berüchtigte» Sonderlackierung fällig, in limitierter Auflage, und man hat etwas zu bieten, wenn man sonst nichts zu bieten hat. Zum Beispiel für die nächste wichtige Audio-Messe, die ansteht.
Wilson Audio hingegen feiert ihr fünfzigstes Jubiläum – ohne Besitzerwechsel – und es ist eine Erfolgsgeschichte. Zum Jubiläum wird der meistverkaufte ikonische Standlautsprecher Watt/Puppy neu erfunden aufgelegt – zum ersten Mal seit 2011. Die Auflage ist nicht limitiert, denn man verspricht sich damit einen Wurf, einen Kassenschlager. Lediglich im Jubiläumsjahr 2024 gibt's ein paar Goodies dazu, die man später nicht mehr bekommt. Erinnerungsstücke, auf die man auch verzichten kann, wenn man noch ein wenig sparen muss.
Roland Spalinger ist nur ein paar Jahre älter als die frühesten Wilson-Lautsprecher. Er kennt die Watt/Puppy beruflich seit über 30 Jahren in- und auswendig. Nun holt ihn die Vergangenheit ein. Er war zunächst skeptisch über die Idee der Neuauflage, denn eigentlich ist die Wilson-Sasha-Reihe die Nachfolgerin der Watt/Puppy-Reihe, die 2011 auslief. Ist diese Wiederauferstehung wirklich eine gute Idee? Es soll ja laut Wilson Audio nicht bei einer Einzelausführung bleiben. Es ist geplant, die Watt/Puppy-Reihe weiter auszubauen.
Die Frage liess sich im Vorfeld unserer gemeinsamen Vorpremiere bereits teilweise beantworten.
Im Vergleich zur Wilson Sasha V ist die neue Watt/Puppy zierlicher, mit einem deutlich kleineren Footprint und somit etwas wohnraumfreundlicher. Sie ist mit 45'500 CHF Paarpreis (Standardfarben) als kleinster zweiteiliger Standlautsprecher kostengünstiger als die Sasha V. Kommt hinzu, dass die Wilson Yvette, der grösste einteilige Standlautsprecher von Wilson, ausläuft und nicht mehr weiterentwickelt wird. Die Watt/Puppy schiebt sich also an den Platz der Yvette, aber näher an die Sasha V. Es ist denkbar, dass die neue Watt/Puppy sogar erfolgreicher wird als die Sasha V. Wer auf die Yvette schielte und die Sasha V als unerreichbar betrachtete, hat nun mit der Watt/Puppy ein mögliches Ziel, vorausgesetzt, sie beeindruckt.
Erwartungsverzerrung
Die Möglichkeit des Direktvergleichs der Watt/Puppy 2024 mit früheren Versionen hat den Vorteil, die Erwartungsverzerrung (expectation bias) ein wenig austricksen zu können. Wenn man einem neuen Gerät wohlwollend gegenübersteht, läuft man bekanntlich Gefahr, die positiven Eindrücke unbewusst überzubewerten. Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb neue Versionen bekannter Lautsprecher eigentlich immer besser wegkommen als die Vorgänger. Man erwartet das einfach. «Was ich denke, geschieht» lautet das Bonmot, das damit versucht, eine komplexe Psychologie auf den Punkt zu bringen.
Die Watt/Puppy 2024 wurde von einer Watt/Puppy 5.1 flankiert. Ein Lautsprecher, der in der Schweiz schon 30 Jahre die Runde macht, also mehrere Besitzer erfreute. Ich war sehr gespannt, auch weil ich noch nie eine Watt/Puppy dieses Jahrgangs gehört habe. Es steht Roland Spalinger übrigens gut an, dass er diese Vergleiche anbietet und auch ältere Watt/Puppies in restauriertem Zustand verkauft.

Als die 5.1-Version vor 30 Jahren das Licht der Welt erblickte, wurden natürlich auch andere Geräte dazu kombiniert, so wie heute. Insofern klang sie damals nicht gleich wie heute, kann man annehmen. Obwohl ich durchaus als Skeptiker tauge, stehe auch ich hinter der Vermutung, dass die Verstärker (Vollverstärker, Vorverstärker, Endstufen) heute auf breiter Front besser sind als damals.

Ich möchte nicht verheimlichen, dass ich ältere Systeme sehr anziehend finde, ohne gleich im Vintage-Fieber zu liegen. Ich stand demnach der Watt/Puppy 5.1 auch wohlwollend gegenüber. Das könnte zu einer Wahrnehmungsverzerrung zugunsten des alten Modells führen, dachte ich mir. Man wird sehen.
Lieferumfang und Specials
Die Watt/Puppy 2024 ist nicht bloss die neuste Ausführung, sondern auch die teuerste aller Zeiten. High-End-Lautsprecher werden ganz allgemein immer teurer. Immerhin sieht man bei der Traditionsmarke Wilson und ihrer neuen Watt/Puppy eine Evolution, welche die kostenbasierende Preisentwicklung zu erklären vermag. Die «Beschläge» oder Komponenten sind durchwegs auf dem neusten Stand des Wilson-Repertoires. Die beiden Gehäuse sind aufwändiger gemacht als früher und bestehen aus drei verschiedenen Komposit-Werkstoffen. Der neue Spike-Satz würde separat schon mehr als 4000 CHF kosten. Die Frequenzweiche kommt mit erstklassigen Kondensatoren eigener Fertigung.

Die Watt kann nach vorne geneigt werden, um den Zeitversatz zum Hörplatz (oder Ohrplatz) zu optimieren. Die dazu erforderliche Konstruktion ist Wilson-typisch sehr aufwändig und die Angleichung der Kabellänge sieht perfekt aus. Im nachfolgenden «Auspack-Video» sieht man den Aufbau im Detail. Die Neigung der Watt erzeugt einen keilförmigen Luftspalt. Das bewirkt eine optisch etwas inhomogene Anmutung. Das ist bei der Sasha V besser gelöst. Wilson wollte die formlichen Eigenheiten der Watt/Puppy aber belassen und auch nicht zu viel in Gehäuse-Extravaganzen investieren.


Im Jubiläumsjahr gibt es dazu noch eine Jubiläumsplakette und ein informatives Buch über die Design-Grundlagen von Wilson-Lautsprechern. Das Buch lag uns in einer deutschsprachigen Version vor. Es ist sehr informativ und eine würdige Ergänzung für alle Kunden, die sich im Jahr 2024 zum Kauf entscheiden.

Im Folgenden nun das ausführliche Auspack- und Aufbau-Video von Audio Video Spalinger. Es zeigt auch die von aussen sichtbaren konstruktiven Details und das handliche Format der neuen Watt/Puppy.
Zu vergleichen oder nicht, das ist hier die Frage
Da es um eine Vorpremiere ging und die neue Watt/Puppy gerade erst angeliefert wurde – noch nicht eingespielt – wurden einfach mal die Rollen montiert. Die Watt/Puppy 5.1 beliessen wir auf den Rollwägelchen, die man auch für die Bierkisten an der Sommerparty verwenden kann. Sie sind in beiden Fällen überaus praktisch.

Die neue Watt/Puppy 2024 erlaubt die Neigung der Watt, um deren Schallwellenausbreitung zur exakten Position der Ohren auszurichten. Die Möglichkeit gab es bei frühen Watt/Puppies noch nicht. Dafür konnte der als Monitor einsatzfähige Watt getrennt vom Bassmodul (Puppy) betrieben werden. Das war dann bei späteren Versionen nicht mehr möglich und auch nicht mehr erwünscht. Auch die neue Watt/Puppy lässt sich nur als Standlautsprecher betreiben.

Der Direktvergleich mit der 30-jährigen Watt/Puppy 5.1 liess mich anfangs recht sprachlos zurück. Da offenbarte sich ein grosszügig modellierter Raum mit einer üppigen und flüssigen, schlicht beeindruckenden Präsentation. Der wirklich grosse Konzertflügel, bearbeitet von Boris Giltburg, präsentierte sich ausladend und doch räumlich fassbar. Die neue Watt/Puppy ging mit mehr Disziplin ans Werk und gestaltete die Aufnahmewirklichkeit des Klavier-Resonanzkörpers ausgesprochen real und glaubhaft. Ich konnte es aber nicht verkneifen, auch wieder nach der ungestümeren Interpretation der alten Watt/Puppy 5.1 zu schielen, obwohl die neue Watt/Puppy über einen trockeneren Bass als die Vorgängerin verfügt.
Beim Song «Take Me to the Church» von Imany schmeichelt die 5.1 der Stimme. Die neue Watt/Puppy korrigiert die Beleuchtung des stimmlichen Auftritts dann sehr gekonnt zu Gunsten von etwas mehr Grundton und mehr Energie. Die eine wie die andere Stimm-Interpretation gefällt auf ihre Weise, und doch hört man eine Evolution heraus. Zum ersten Mal glaubte ich an dieser Stelle Unterschiedliches zu hören, das auf die Hochtontreiber zurückzuführen war. Die neue Bestückung im neuen Konzept kommt mit etwas mehr Schmelz und perfekter Integration.
Die verspielt witzige Version von «Come Together» von Herbie Man glänzt dank einer von heute abweichenden Aufnahmekunst von 1970 besonders augenfällig mit wohltemperierter Perkussion und einer verspielten Querflöte. Das führt zu einem dicht gewobenen Schallteppich mit sehr kontrastreichen Klangfarben. Der neue Webstuhl von Wilson Audio macht ganze Arbeit. Ich konnte mich nicht satthören. Dann kam George Duke mit «The black Messiah» an die Reihe. Nicht zum ersten Mal. Die Pauke mit dem Bass kam mit perfekter Energie und Punch, und alles vereint mit einer Hammer-Dynamik. Prädikat «trocken, aber nicht ausgetrocknet». Sie verstehen, was ich meine.

Ich bekomme immer wieder einmal den Hinweis, etwas mehr audiophil zu schwatzen und nicht so poetisch. Bei der neuen Watt/Puppy gibt es punkto tonaler Ausgewogenheit nichts zu bemängeln. Die perkussiven Eigenschaften im Bassbereich kann man abhaken. Das ist wie bei den grösseren Lautsprechern von Wilson perfekt austariert oder anders gesagt, die optimale Mischung von Volumen und Kante. So wie die Pauke selbst, nicht zu pfundig und nicht zu hart. Sogar das Snare Drum hat eine ganz eigene Qualität. Die melodischen Aspekte der Musik – dort, wo es nicht so auf schnelle Transienten ankommt – sind perfekt vom geschulten Gehör abgestimmt. Der Hochton bewirkt eine Art von Transparenz, die selbst bei ganz geringer Lautstärke immer wieder aufhorchen lässt. Das ist eine leicht hypnotische Eigenschaft, würde ich sagen.
Fazit
Die neue Watt/Puppy ist klanglich eine sehr kluge und raffinierte Weiterentwicklung der Vorgängermodelle. Die ebenfalls verblüffend beeindruckende Version 5.1 profitiert heute von Quellengeräten und einer Top-Verstärkertechnik, die es vor 30 Jahren so nicht gab. Vor 30 Jahren klang sie anders, und heute kann sie sich immer noch behaupten. Das allein ist schon eine mächtige Qualitätsdemonstration. Sie passt zu einem 50-Jahr-Jubiläum.
Da die letzte Version der Wilson-Ikone Watt/Puppy 2011 auf den Markt kam, kann man den deutlich höheren Preis der neuen Version höchstens noch zur Kenntnis nehmen. Immerhin ist sie ja deutlich kostengünstiger als die Sasha V, deren Vorgänger auch günstiger waren. Und doch macht auch Wilson Audio mit bei dem Spiel mit der Aufwärts-Preisspirale bei Top-High-End. Man bekommt viel für 45'500 CHF, hat aber bei diesem Budget auch viel Auswahl auf dem Markt.
Lobenswert sind auf jeden Fall auch das Design, die Optik und die perfekte Verarbeitung. Die Watt/Puppy blieb sie selbst – und ist dennoch die schönste Watt/Puppy aller Zeiten.
