MUSIKREZENSION
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Publikationsdatum
20. Februar 2023
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Das von der Joseph Haydn Stiftung Basel unterstützte Projekt Haydn2032 beabsichtigt, bis 2032 alle 107 Symphonien einzuspielen, passend zu Joseph Haydns 300. Geburtstag (1732–1809). Mit dem Album «Hornsignal» fasst Antonini thematisch Symphonien mit dominantem Bläsereinsatz zusammen.

Die drei Symphonien Nr. 31 «Hornsignal», Nr. 59 «Feuersinfonie» und Nr. 48 «Maria Theresia» zeugen von Haydns enormer Kreativität und seinem Bezug zur aktuellen Lebenssituation am Hofe des Fürsten Nikolaus Esterhazy in Eisenstadt und Fertöd. Die am Vorabend zu Beethovens Symphonie-Giganten zwischen 1765 und 1769 entstandenen Haydn-Werke weisen noch nicht die volle Komplexität der Sonatenhauptsatzform auf, sind aber mit ihrem Abwechslungsreichtum und ungewohnten kompositorischen Wendungen spannend zu hören und gleichzeitig auch für wenig geübte Klassikhörer zugänglich.

Symphonie Nr. 31 «Hornsignal» – weit mehr als nur Jagdkolorit

In dieser D-Dur-Symphonie setzt Haydn gleich vier Hörner ein, die mit ihrem prägnanten Rhythmus und ihrer Strahlkraft von Anfang an das Geschehen dominieren, während sich die Streicher mit der Stützfunktion begnügen müssen – zumindest für die ersten 16 Takte. Konsequent setzt Giovanni Antonini vier Naturhörner ein – das moderne Ventilhorn gabs damals noch nicht.

Die historisch orientierte Aufführungspraxis zieht sich als roter Faden durch die Haydn2032-Einspielungen, die jeweils mit Antoninis eigenem Orchester – Il Giardino Armonico – und dem Basler Kammerorchester beim Label Alpha Classics realisiert werden.

Historische Aufführungspraxis bedeutet einerseits eine Orchestergrösse von rund 25 bis 30 Musikerinnen und Musikern, deren Instrumente der Bauform der Epoche entsprechen, respektive aus dieser Zeit stammen. Violinen mit Darm- anstelle von Stahlsaiten und leicht abweichender Bauform. Aber auch mit zeitgerechter Interpretation. Was eine unterschiedliche Auffassung in Bezug auf Tempi, Artikulation, Vibrato, Phrasierung und Verzierung, aber auch eine tiefere Grundtonstimmung der Instrumente bedeuten kann. Somit ergibt sich ein deutlich anders Klangbild im Vergleich zu einem romantisch orientierten (Gross-)Orchester des 19. Jahrhunderts und einem Orchesterklang karajanscher Prägung.

Die einzelnen Orchesterstimmen sind in der vorliegenden Aufnahme gut hör- und nachvollziehbar, mit klar ortbarer Positionierung im Raum. Haydns kompositorische Linien offenbaren sich. Sie sind neben der Klangästhetik ein wesentlicher Bestandteil für den enormen Hörgenuss, den diese Musik vermittelt.

Besonders erwähnenswert ist der vierte Satz der Symphonie Nr. 31, der mit «Finale. Moderato molto mit 7 Variationen – Presto» als Tempoangabe betitelt ist.

Die Streicher stellen das Thema piano und in gemässigtem Tempo vor. Das aus zwei Teilen bestehende Marsch-ähnliche Thema wird nach der obligaten Wiederholung von den Oboen übernommen und variiert. Das Grundmotiv wird mit jeder weiteren Variation sukzessive verändert. Variation 2 übernimmt das Cello als Soloinstrument, gefolgt von Variation 3 mit Flöte. Den vierten Durchgang übernehmen die Hörner, die – dem Grundcharakter der Symphonie gerecht werdend – ausgebaut mit einem spieltechnisch anspruchsvollen Auftritt das Zentrum des Satzes markieren. Die 5. Variation bringt wieder einen sanfteren Auftritt der Solo-Violine, gefolgt vom Tutti des ganzen Orchesters in der 6. Variation.

Aufnahmesession: Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini.Aufnahmesession: Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini.

Den letzten Durchgang übernimmt der Kontrabass. Haydn wäre nicht Haydn, wenn er sich jetzt mit einer kurzen Coda und Schlussakkorden als Abschluss begnügen würde. Vielmehr wechselt das Tempo nun vom gemächlichen Moderato mit einer kräftigen Hornattacke ins Presto, ein von den Hörnern dominierter Kehraus. In den letzten sieben Takten intonieren die vier Hörner nochmals kräftig das Einleitungsthema des ersten Satzes. Grandios komponiert, grandios in diesem Album interpretiert.

Symphonien Nr. 48 C-Dur «Maria Theresia» und 59 A-Dur «Feuersymphonie»

Wie meistens bei Haydns Symphonien stammen die Beinamen nicht vom Komponisten. Sie entstanden aus dem Umfeld, dem Verleger oder bekamen ihre Übernamen vom Publikum aufgrund der musikalischen Wirkung. So war es denn ein anonymer Kopist, der die Symphonie Nr. 59 als «Feuersinfonie» bezeichnete.

Sie fällt durch starke Gegensätze und intensive Motivarbeit auf. Punktierte Rhythmen und abwechslungsreiche Dynamik prägen die vier Sätze. Antonini arbeitet intensiv mit diesen Dynamiksprüngen und dem Wechselspiel von Staccato und Legato. Subtile Motive im piano gefolgt von eruptiven Staccato-Sequenzen prägen den ersten und vierten Satz. Aber auch der langsame zweite Satz bleibt nicht von diesem Dynamikspiel verschont. Dass die Hörner auch hier einen erheblichen Anteil zum Geschehen beitragen, kann man sich leicht vorstellen.   

Der Titel «Maria Theresia» für die 48. Symphonie stammt nicht von Haydn und taucht auch in den Abschriften aus der Entstehungszeit nicht auf. Das aus etwas über 20 Musikern bestehende Orchester in Esterhazy variierte in der Zusammenstellung der Stimmen über die Zeit. Pauken und Trompeten fehlten oft. Als Trompeten-Substitution setzte Haydn den Hornsatz in dieser Symphonie daher einfach eine Oktave höher, um die Strahlkraft und Brillanz von Trompeten zu imitieren.

James Webster: «In seiner Urfassung [der Symphonie Nr. 48] ohne Trompeten und Pauken kommt der ausserordentlich hohe Schwierigkeitsgrad besonders deutlich zum Ausdruck, denn das Werk erfordert präzise Streicher, ausgezeichnete Bläser und vor allem risikofreudige Hornisten, die neben der musikalischen Aufgabe auch einen technischen Drahtseilakt in C alto zu absolvieren haben.»

Interpretation, Klang und Aufnahmetechnik

Fulminant und überzeugend interpretiert Antonini mit dem Giardino Armonico die drei Symphonien. Die dynamische Spielweise mit subtil gewählten Tempi leuchtet kompositorische Details aus, die in vielen Aufnahmen nur ansatzweise oder gar nicht hörbar sind. Die transparente, moderne Aufnahmetechnik des Alpha-Classics-Teams ist verantwortlich, dass diese Klangdetails zu Hause erlebbar werden. Und das gelingt auf hohem Niveau.

Wie sich Aufnahmetechnik und Interpretationsverständnis über die Jahrzehnte verändert haben, zeigt ein Quervergleich mit renommierten Aufnahmen. Als Grundlage gilt die legendäre Gesamteinspielung von Antal Dorati mit der Philharmonia Hungarica aus den 1970er-Jahren. Diese Einspielung ist auch heute noch erhältlich (digital).

Dass die damalige Aufnahmetechnik ihre Grenzen hatte, versteht sich von selbst. Auffallend, auch im Vergleich auch zur präzisen Einspielung mit Christopher Hogwood und der Academy of Ancient Music (1990er-Jahre), sind Doratis langsame Tempi und die für die damalige Zeit prominente Hervorhebung der Streicher, zulasten der Bläser. Auch die tonal eher ineinanderfliessenden Orchestergruppen sind mehr der damaligen Interpretationsauffassung geschuldet als der Aufnahmetechnik.

Alte Instrumente sind klanglich meistens etwas rauer, dafür griffiger – natürlich auch abhängig von der Spielweise. Die native in Hi-Res-Aufnahme (Distributionsformat 24 Bit/192 kHz) transportiert dies exakt. Dies mag für erfahrene Hörer aus der Dorati-Epoche zu Anfang als aggressiv empfunden werden – besonders wenn das Audiosystem einen überzeichnenden Hochtonbereich hat. Verständlich, wenn man dann lieber zu Dorati-inspirierten Einspielungen greift (z. B. Naxos Edition) – oder mit Adam Fischer (Austro Hungarian Haydn Orchestra mit modernen Instrumenten) eine Zwischenwelt wählt. Spannend an der Fischer-Einspielung (1987 bis ca. 2000) ist, dass die Aufnahmen im Haydnsaal auf Schloss Esterhazy in Eisenstadt gemacht wurden. Also dort, wo Haydn die grösste Zeit seines Lebens wirkte.

Ein langer Aufnahmezeitraum und ungewöhnliche Kombinationen

Antonini begann 2014 mit den Haydn2032-Einspielungen. Mit einem Zeitfenster von 18 Jahren bleibt viel Zeit, die Symphonien für jede Ausgabe sorgfältig einzustudieren. Die eher grossen Zeitabstände und der Einsatz von zwei Orchestern dürfte bei den Musikern auch weniger Ermüdungserscheinungen aufkommen lassen. Im Weiteren sind die Alben nicht reine Haydn-Alben. Volume 13 beinhaltet auch ein Concerto für Horn, Blockflöte und Basso Continuo von Georg Philipp Telemann. Antonini schafft so Querbezüge zwischen Haydn und anderen Komponisten, seien es Zeitgenossen oder Komponisten aus anderen Epochen, wie Mozart, Kraus oder Bartok.

Für die Grafik arbeitet das Alpha-Label mit der Bildagentur Magnum zusammen. Das Coverbild und die Bildfolge im Booklet des «Hornsignal»-Albums stammen vom Norweger Jonas Bendiksens. Seine eindringlichen Bilder beleuchten Themen wie Gemeinschaft, Glauben und Identität mit schonungsloser Ehrlichkeit. Anmerkung: bei Qobuz ist das Booklet als Streaming und Download verfügbar.

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