BLOGPOST
ARTIKEL
Publikationsdatum
18. September 2020
Themen
Drucken
Teilen mit Twitter

Mein Grossvater arbeitete bei der PTT, der damaligen «Bundesorganisation» für Post, Telegraf und Telefon, die im Laufe der Privatisierung/Liberalisierung 1998 in «Die Post» und «Swisscom» aufgeteilt wurde. Ob dies ein guter Schritt war, steht hier nicht zur Debatte, doch war dies der Grund, dass ich früh mit Kurz-, Mittel- und Langwellen in Kontakt kam: Auf einem selbstgebauten Empfänger versuchten wir möglichst weit entfernte Sender reinzuholen, hörten völlig unbekannte Klänge und Sprachen und verbrachten ganze Nächte dabei.

Später erbte ich ein Bakelit-Radio, mit dem ich auf AFS Munich, der American Field Service Radiostation, zum ersten Mal «echten, amerikanischen Jazz» zu hören bekam – eine Musikart, die zu jener Zeit auf dem Landessender Beromünster eher verpönt war.

Doch heute ist alles anders: Jazz gilt auch hierzulande als «normal», und dank dem Internet haben wir die Möglichkeit, jederzeit Radiostationen aus der ganzen Welt zu hören … so wir denn finden, was wir suchen.

Radio.garden

Vor einiger Zeit stiess ich per Zufall (oder war der Auslöser eine Kurznotiz im K-Tipp?) auf eine Website, welche die Radiowelt visuell geografisch präsentiert:
Radio.garden, ein niederländisches Non-profit-Projekt des «Netherlands Institute for Sound and Vision». Radio-garden wurde zwischen 2013 und 2016 entwickelt und erhielt am 14. Mai 2020 mit einer neuen Version einen weiteren Schub, da es nun in jedem Browser verwendet werden kann: Nach dem Öffnen der Webseite erscheint eine sich drehende Weltkugel, die sich automatisch auf den Ort einpendelt, an dem der aktuell verwendete Server des Benutzers steht (wohl in der Annahme, dass dies die Region ist, in der man lebt). Diesen Globus kann man nun beliebig drehen, vergrössern, hinein- und heraus-zoomen. Alternativ kann man in einem Suchfeld einen Ort, einen Sendernamen oder eine Musikrichtung eingeben, um danach zu suchen. Die (der Software bekannten, angemeldeten, mittlerweile über 10’000) Radiostationen erscheinen als grüner Punkt – je nach Wichtigkeit, Sendestärke oder anderen (mir nicht bekannten) Kriterien in unterschiedlicher Grösse. Nach einem Klick auf diesen Punkt wird der Sender aktiviert. Oft erhält man noch zusätzliche Informationen über den Sender.

Beispiel Radio Swiss Jazz. Da ich die Darstellung nachträglich verschoben habe, ist der Sender nicht mehr korrekt eingekreist.Beispiel Radio Swiss Jazz. Da ich die Darstellung nachträglich verschoben habe, ist der Sender nicht mehr korrekt eingekreist.

Und endlich kann man sich problemlos informieren, was in den verschiedensten Ländern/Gebieten der Welt gehört wird. Multilinguisten können sich Informationen und Nachrichten in den unterschiedlichsten Sprachen zu Gemüte führen. Und was mich zusätzlich reizt: Wenn man nach einer Ferienreise einen lokalen Radiosender vermisst, der einem während der ein, zwei Wochen besonders ans Herz gewachsen war, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man diesen auf Radio.garden findet. Aber Vorsicht: Im Radiogarten vergisst man gerne die Zeit und verliert sich in spannendem Suchen.

Und: Radio.garden gibt es auch als App, sowohl für Android als auch für iPhone.

Jazz Radio

Als Jazzliebhaber und immer interessiert an Neuem oder unbekannten Altem (nicht nur wegen Jazz-Rezensionen auf dieser Plattform) suche ich regelmässig nach Jazz-Stationen, die ohne Werbeunterbrechungen senden. Natürlich gibt es da Radio Swiss Jazz, doch hält sich meine Begeisterung bei der Musikwahl dieses Senders in Grenzen.

Während meiner Jahre in Kalifornien hörte ich beinahe ausschliesslich KJazz 88.1, ein von den Hörern (freiwillig) finanzierter Sender von der State University Long Beach, der damals mit Hosts wie Chuck Niles (dessen zwar verstummte, doch unverwechselbare Stimme hier zu hören ist) Paul James, Helen Borgers u. v. a. Der Sender hat diverse «Verluste» verkraften müssen, ist jedoch heute wieder unter den besten und eben via Internet auch bei uns zu hören.

Vielseitig und mehrheitlich frei von Unterbrecherwerbung, ausser wenn es um Konzerte, Jazzclubs und Eigenwerbung geht.Vielseitig und mehrheitlich frei von Unterbrecherwerbung, ausser wenn es um Konzerte, Jazzclubs und Eigenwerbung geht.

Mittlerweile habe ich jedoch einen neuen Favoriten erkoren, dessen Musikwahl mich optimal anspricht: Jazz24 – 24 Stunden Jazz vom Feinsten, ohne Werbeunterbrüche. Jazz24 ist in Seattle und Tacoma im US-Staat Washington beheimatet. Einziger, minimaler Kritikpunkt: Es gibt Wiederholungen von gewissen Lieblingsstücken der Programmierer/Hosts.

Sowohl Jazz24 wie auch KJazz finanzieren sich wie erwähnt durch freiwillige Hörerspenden, für die sie zweimal pro Jahr während einem Monat etwas mehr Spendenaufrufe durchführen, doch erachte ich dies nicht als Unterbrecherwerbung.

Hilfreich ist zudem die Playlist, eine Auflistung aller gespielter Titel im Zeitablauf (mit Suchfunktion). Um diese zu nutzen, gilt es nur, die Zeitdifferenz (minus 9 resp. 10 Std.) zu berücksichtigen. Hier werden der Name des Stückes, der Interpret und von welchem Album der Titel stammt, angegeben.

Ebenfalls an der Westküste der USA beheimatet: Jazz24.Ebenfalls an der Westküste der USA beheimatet: Jazz24.

Jazz24 oder KJazz sind bei uns zuhause ständige Background-Begleiter und werden auf einem ausgedienten PowerBook empfangen und auf die Stereoanlage transferiert. Oft höre ich ein mir bisher unbekanntes Stück, schaue dann online in der entsprechenden Playlist nach, von welchem Interpreten auf welcher CD das Stück stammt … und meistens werde ich danach bei Qobuz fündig und kann mir in Ruhe das ganze Album zu Gemüte führen.

Dank Radio.garden stiess ich zwar auf viele weitere und teilweise interessante Jazzsender, doch die meisten spielen Jazz entweder nur zu gewissen Tages- oder Nachtzeiten oder sie nerven mit Unterbrecherwerbung. Doch vielleicht finden Sie ja dank Radio.garden einen für Sie idealen Radiosender …