Klar aufgewertet
Test Bowers & Wilkins 606 Anniversary Edition
Wer bis anhin einen vernünftigen HiFi-Lautsprecher mit durchgehend guten Eigenschaften gesucht hat, ist öfter bei der «Einsteigerklasse» von Bowers & Wilkins gelandet: Die 600er-Serie versprach überdurchschnittlich guten Klang bei moderatem Preis – und dies bei mehr als ordentlicher Verarbeitung. Die drei Modelle 607 (Test: nachzulesen hier), 606 (Testbericht: hier) und 603 wurden nur zur Generation S2 «Anniversary Edition» überarbeitet. Das ist tatsächlich eine Jubiläumsausgabe, denn die allererste Version aus dieser Lautsprecherfamilie (die DM602) datiert aus dem Jahr 1995.
25 Jahre später ist doch einiges an technischem und klanglichem Fortschritt erfolgt, wie wir beim Hörtest des mittleren Modells 606 S2 zufrieden feststellen durften. Aber auch im direkten Vergleich zum Vorgänger kann man nun deutlich mehr Detailauflösung und eine feinere Ansprache konstatieren. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass Bowers & Wilkins bei der «Anniversary Edition» in die Trickkiste gegriffen und eine neu entwickelte Frequenzweiche mit besseren Bauteilen sowie Bypass-Kondensatoren spendiert hat.
Bei Letzteren handelt es sich um winzige Kapazitäten im Bereich von 10 nF, welche parallel zu den grösseren Kondensatoren im Signalweg geschaltet werden. Diese Massnahme ist nicht neu und wurde schon in den 80er-Jahren (beispielsweise von JBL) angewandt. Der Vorteil besteht wohl darin, dass man bei einem überschaubaren Aufpreis eine Klangverbesserung ähnlich wie mit sündhaft teuren audiophilen Kondensatoren realisieren kann.


Sicherlich gibt es technische Erklärungen für Klangunterschiede zwischen nominell identischen technischen Bauteilen. Viel interessanter ist jedoch, ob Lautsprecher mit dermassen feingetunten Frequenzweichen nachvollziehbar besser tönen. Diesen Nachweis hat Bowers & Wilkins jüngst schon bei der 700er Signature-Serie vollbracht, die im direkten Vergleich zur Standardversion deutlich filigraner und räumlich offener klingt (nachzulesen hier). Und auch die neue 606 «Anniversary Edition» tönt ungleich viel transparenter und brillanter als die Vorgängerin.
Feine Zutaten
Der Hochtöner der letzten beiden 600er-Generationen war schon so gut, dass er für die Neuausgabe nur unwesentlich überarbeitet werden musste. So verfügt er nun über einen schöneren Zierring mit filigran gestaltetem Schutzgitter. Geblieben ist die Konstruktion mit angekoppeltem akustischem Ausgleichsvolumen, worin sich der rückwärtig abgestrahlte Schall virtuell «totlaufen» kann. Die doppellagige Aluminiumkalotte agiert ausgesprochen resonanzarm. Die obere Materialresonanz liegt bei unhörbar hohen 38 kHz. Metallischer Beiklang ist diesem Hochtöner absolut fremd.

Auch der 16,5-cm-Tiefmitteltöner konnte vom Vorgänger übernommen werden. Ebenso wie bei den teureren Modellen der 700er- und 800er-Serie kommt hier das neuartige Membranmaterial Continuum zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine patentierte Eigenentwicklung aus der Bowers&Wilkins-Forschung. Im Unterschied zum früher verwendeten (ebenfalls aus geflochtenen Aramidfasern bestehenden) Kevlar fällt das Partialschwingungsverhalten bei der Continuum-Membran deutlich gesitteter aus. Dadurch werden die Mitten offener wiedergegeben.
Trotz der günstigen Preisklasse kommt kein billiges Chassis aus Stahlblech, sondern ein stabiler Druckgusskorb zum Einsatz. Das Finish der 606 S2 ist rundum sehr sauber. Natürlich darf man in dieser Preisklasse kein Echtholzfurnier oder Hochglanzlackierung erwarten. Neu gibt es die Foliengehäuse nebst Mattschwarz und Mattweiss auch in Eiche hell mit weisser Front, was sehr gediegen (und gar nicht rustikal) ausschaut. Passende Originalständer von B&W gibt es für günstige CHF 205.- das Paar.

Die neue Offenheit
Das Feintuning der Ingenieure bei Bowers & Wilkins offenbart eine starke Wirkung: Die neue 606 «Anniversary Edition» klingt im direkten Vergleich zum (bereits sehr guten) Vorgänger deutlich detailreicher und feiner, gleichzeitig dramatischer und livehaftiger. Insbesondere die räumliche Abbildung hinterlässt Eindruck; das Auflösungsvermögen liegt weit über dem, was man sonst in dieser Preisklasse erwarten darf. Die Stimmenwiedergabe war schon beim Vormodell hervorragend, nun kommen Vokalaufnahmen nochmals authentischer und livehaftiger.

Die 606 S2 «Anniversary Edition» zeigt eine exzellente Feindynamik mit müheloser Ansprache. Man muss also keineswegs laut hören, um punkto Musikerleben auf seine Kosten zu kommen. Schon bei moderatem Pegel generiert die Kompaktbox eine erstaunliche Klangfülle mit gut strukturiertem Grundton und druckvollem, definiertem Bass. Dies sogar, wenn man die Box frei im Raum auf einem Ständer platziert. Im Regal oder nahe an der Rückwand kann man bei Bedarf die rückwärtigen Bassreflexöffnungen mit den beigelegten Stöpseln bedämpfen. Insgesamt ist die 606 S2 pegelfest ausgelegt, sie macht auch bei Fortissimo-Stellen grossorchestraler Ereignisse nicht gleich schlapp.
Nominell stellt sie dank relativ gutem Wirkungsgrad auch keine hohen Ansprüche an den Verstärker. In Tat und Wahrheit reagiert die neue 606 S2 aber doch sensibel auf die Güte der verwendeten Elektronik. Wo die alte Version noch als «Everbody’s Darling» gelten durfte, zeigt die Neue die Schwächen etwa des DAC oder des Verstärkers ganz klar auf. Sie setzt Qualitätsunterschiede sehr deutlich um. Bereits beim Test der Vorgänger hatten wir konstatiert: «Tatsächlich sind die in diesem Lautsprecher eingesetzten Treiber so gut, dass man bedenkenlos selbst teure Elektronik damit kombinieren kann.» Diese Aussage trifft bei der neuen Version noch deutlicher zu.

Wir hörten die 606 S2 «Anniversary Edition» in Kombination mit einer brandneuen Verstärker-/CD-Spieler-Kombination von Rotel: Die bewährten Einstiegsmodelle A11 und CD11 sind nun in einer «Tribute Edition» zu Ehren der Partnerschaft des Unternehmens mit der im November 2019 überraschend verstorbenen Audio-Legende Ken Ishiwata erhältlich. Für den Stereo-Vollverstärker A11 wurden speziell selektierte Komponenten ausgewählt, so etwa bessere Kondensatoren und Widerstände im Signalpfad. Das mechanische Chassis des A11 wurde mit speziellen Dämpfungsmassnahmen vorgenommen, um Vibrationen zu verringern. Auch hier wurden sehr viele Kondensatoren und Widerstände ersetzt. Das Ziel war eine Steigerung der Auflösung und der Detailwiedergabe, verbunden mit verbessertem Rhythmus und exaktem Timing der musikalischen Präsentation.
Fazit
Das Gute dabei ist, dass «audiophile» Elektronik gar nicht teuer sein muss. Gerade mal CHF 655.- sind für den Rotel-Verstärker fällig, CHF 495.- für den CD-Spieler. Tatsächlich war es sehr beeindruckend, wie vital und brillant die neue 606 «Anniversary Edition» im Zusammenspiel mit den beiden Komponenten tönte. So viel Feinzeichnung und räumliche Auflösung ist man in dieser Preisklasse sonst einfach nicht gewohnt. Der Preis von CHF 825.- für ein Paar dieser Ausnahmelautsprecher darf als kleine Sensation gelten.

Sehr gute Feindynamik.
Sehr hohe Transparenz.
Tiefreichender, druckvoller Bass mit guten Konturen.
Klangbild löst sich schön von den Lautsprechern.
Onlinelink:
https://www.avguide.ch/testbericht/test-bowers-and-wilkins-606-anniversary-edition-klar-aufgewertet