Alte Zeiten, gute Zeiten
Test von 7 Bluetooth-Speakern mit Vergangenheit

Der Markt für aktive Kompaktlautsprecher, die meistens mit Bluetooth betrieben werden, genannt Bluetooth-Lautsprecher, ist so gross und vielfältig geworden, dass kaum jemand in der Lage sein dürfte, den Überblick zu behalten. Man kriegt die Dinger in allen Grössen, Formen und Farben und für alle denkbaren Anwendungen.
Ob portabel oder sogar mobil, für unter die Dusche oder in die Handtasche, ob solitär oder als Teil eines Multiroom-Systems zu verwenden, die Dinger können in allen Lebensbereichen eingesetzt werden und sie klingen je nachdem verblüffend gut. Auf jeden Fall deutlich besser als die alten Kategorien «Transistorradio» und «Ghettoblaster».
Digitale Klang-Prozessoren und leistungsstarke, effiziente Schaltverstärker haben Einzug gehalten und produzieren Bässe aus Gehäusen im Format mittlerer Toblerone-Verpackungen. Die Kaufentscheide fallen meistens aufgrund anderer Kriterien als Klangqualität: Es geht um Marken, Optik, Haptik und natürlich Grösse und Verwendung. Nun zeichnet sich ein neuer Trend ab.
Er heisst Vintage/Heritage.

Vintage und Heritage

«Vintage» bedeutet altmodisch, alt, klassisch, aus einer bestimmten Zeit. Das beinhaltet alte Geräte aus der Zeit und neue im Stil der Zeit. «Retro» ist ein verwandter Begriff. Dabei geht es quasi um die Werte-Belebung der guten, alten Zeit durch Optik und Haptik, ohne Verzicht auf die Annehmlichkeiten der Gegenwart.
Bei «Heritage» geht es um das Erbe und die Tradition. Im vorliegenden Fall von Herstellern (Marken), die schon Jahrzehnte existieren und wirken. Erbe und Tradition sind Werte, die nicht jeder Hersteller vorweisen kann. Deshalb eignen sie sich zur Positionierung eines Produkts über die Differenzierung zu einem grossen Angebot vieler Hersteller. Die Botschaft der Tradition wirkt bei den Käufern und schafft Vertrauen in einer kurzlebigen Zeit.
Die Schweizer Uhrenindustrie ist das Paradebeispiel: Die Tradition der Uhrenmarken wird geschickt vermarktet. Dabei spielt es keine grosse Rolle, ob sich hinter der Marke noch derselbe Hersteller mit derselben Produktion verbirgt wie damals. Dasselbe gilt wohl auch für die hier vertretenen Marken und ihre Tradition.
Klipsch
Paul W. Klipsch gehörte zu den unbestrittenen Pionieren des Lautsprecherbaus. Er baute 1938 den Prototypen des weltberühmten Klipsch-Eckhorns. Es wird heute noch produziert. Der schlaksige Hüne schuf über die Jahre ein Imperium. Dabei war er immer glaubhaft und überzeugend. Ein echtes Original. Klipsch beruft sich heute in oppulentem Stil auf die Tradition des Unternehmens. Die beiden Bluetooth-Lautsprecher in diesem Test wurden in Indianapolis entwickelt und werden in China produziert.
Marshall
Der Brite Jim Marshall gründete 1960 ein kleines Musikgeschäft in Harnwell. Kunden wie Pete Townshend und Ritchie Blackmore inspirierten ihn, Gitarrenverstärker zu entwickeln und zu produzieren. Daraus entstand Marshall Amplification, ein führendes Unternehmen für Gitarrenverstärker. Die Aussenwirkung der Marke blieb Millionen von Konzertbesuchern nicht verborgen. Der Schriftzug «Marshall» ist auf den Konzertbühnen beileibe nicht zu übersehen. Die hier vorgestellten Geräte wurden von Zound Industries Intl. und Marshall Amplification entwickelt. Produktion in China.
Vifa
Das von N.C. Madsen 1933 in Dänemark gegründete Unternehmen Vifa (Videbæk Højttaler-Fabrik) wurde zu einem führenden Hersteller von Audio-Geräten in Skandinavien. Die Zusammenarbeit mit SEAS, Scan-Speak und Bang & Olufsen prägten die Firmengeschichte. Die Bluetooth-Lautsprecher von Vifa orientieren sich am kühlen, rationalen nordischen Design der 1950er Jahre. Die Produkte wurden in Dänemark entwickelt und werden in China hergestellt.
GPO
Die britische Marke GPO (General Post Office) hat eine lange Geschichte. Das General Post Office wurde von Oliver Cromwell's Parlament 1657 geründet. Ab 1912 war GPO der monopolistische Hersteller für Telekommunikationsnetzwerke und Geräte, und zwar bis 1982. Die Marke GPO wird heute für nostalgische Geräte verwendet. Dazu gehören auch Telefonapparate. Produktion in China.
Test Marshall Stockwell oder «Mini»

Der kleinste Marshall mit Namen Stockwell ist für die Reise gedacht und läuft 25 Stunden mit den Lithium-Ionen-Akkus. Voll aufgeladen können diese über einen USB-Ausgang sogar ein Smartphone aufladen. Somit benötigt man für länger andauernde Abstinenz von Steckdosen für das Smartphone keinen externen Lade-Akku. Clever!
Der Lautstärkenregler und die beiden Klangregler sind versenkbar, damit sie nicht aus Versehen verstellt werden können. Er verfügt über einen Analogeingang (Mini Jack), Bluetooth 4.0 und kann auch Telefongespräche mithören lassen; sehr praktisch für Konferenzschaltungen.
Man will das Gerät in die Hand nehmen, wenn man es sieht. Es ist sehr schön verarbeitet und äusserst solide konstruiert. Zwei Class-D-Verstärker mit 27 Watt RMS befeuern insgesamt 4 Lautsprechertreiber. Hochton und Bass. Das wird echt laut, wenn man will. Stockwell soll laut Hersteller der lauteste Bluetooth-Speaker seiner «Klasse» sein. Was das auch immer bedeutet.
Der Sound
Ein echter Marshall rockt! Das würde man erwarten und so kommt es auch rüber. Die elektrische Gitarre singt wunderschön und man glaubt tatsächlich die Marshall-Gene zu hören. Eine leichte Mitten-Präsenz tut den Sängern gut und bringt den Zeitgeist der Aufnahmen ins Bewusstsein. Betörend und ganz leicht schmutzig, etwas verraucht usw. Mir kommen einige Attribute in den Sinn, wenn ich mit dem Stockwell höre. Der Bass ist eine reife Sache und macht das Allermöglichste aus dieser Grösse.

Test Marshall Kilburn: Der goldene Schnitt

Der Kilburn ist die portable Version und natürlich nicht so mobil wie der Stockwell. Das heisst, man kann ihn tragen und wenn man damit durch die Badi schlendert, dann liessen sich vielleicht ein paar Zusatzpunkte, die nichts mit Musik zu tun haben, damit gewinnen. Je nach der Qualität des Tattoos auf dem Arm vielleicht...
Die Proportionen sind ausnehmend gut gelungen. Die Verarbeitung ist aufwendig mit der rigiden Stoffbespannung und der goldenen Bordüre. Das Gehäuse ist massiv, vielleicht sogar aus Holz mit Kunstleder bezogen und trefflich ausgeführt. Das Netzteil findet im Gehäuse Platz, und daher braucht man nur ein Stromkabel, um den Akku alle 20 Stunden aufzuladen. Beim Aufladen muss das Gerät aber eingeschaltet sein, sonst lädt es nicht. Das ist etwas ungewöhnlich.
Der Kilburn erzeugt einen respektablen Schalldruck von 100 dB/1 Meter und kann analog (Mini Jack) oder natürlich mit Bluetooth angesteuert werden. Er verfügt über einen Basstreiber und zwei Hochton-Systeme.
Der Sound
Oh, klingt der gut. Ausgewogener als der Stockwell mit einem schönen Bassfundament und einer betörenden Stimmwiedergabe. Es gibt ein Plus an Nuancen zu erfahren, und er wirkt etwas pfundiger und knackiger. Man spürt ein Gehäusevolumen und kaum Vibrationen. Auch draussen kann man damit Gas geben, wenn man ihn zum Beispiel an der Hauswand platziert. Das ist eine feine Sache.

Test Marshall Woburn: Hier geht es zur Sache

Vergleicht man den Marshall Woburn mit dem Kilburn, so hat man einfach eine viel grössere Ausführung vor sich. Dazu verfügt der Woburn noch über einen weiteren Analogeingang (Cinch-Stecker) und einen optischen Digitaleingang auf dessen Rückseite. Betreiben kann man ihn nur mit Stromkabel. Portabel ist er schon, aber wohl eher im häuslichen Umfeld. Vom Wohnzimmer in den Hobbyraum oder auf die Terrasse.
Zum Glück sind die beiden Bassreflex-Öffnungen rückseitig so platziert, dass man zweihändig greifen und tragen kann. Die verfügbare Leistung aus Class-D-Endstufen beträgt 2 x 20 Watt und zusätzlich noch 50 Watt für den Tiefbass. Man kann damit sehr laut und unverzerrt spielen. Die Voraussetzungen eines Partylautsprechers sind erfüllt.
Die Verarbeitung ist sehr hochwertig und solide, entspricht aber exakt dem kleineren Kilburn in diesem Test.
Der Sound
Er klingt wahrhaft mächtig mit einem Tiefbass-Fundament, welches keine Wünsche offen lässt. Das ist in offenen Räumen von Vorteil und wird Sie auf Ihrem Gartensitzplatz erfreuen. Die Nachbarn bekommen auch noch ihr Fett ab und Sie werden sie zu Ihrer Party einladen müssen. Gerade dieser souveräne Bass verhilft dem Woburn zu einer Live-Präsenz, die ungeheuer Spass macht. Auch hier sind die Stimmen sehr präsent und einfach schön, sodass sich sogar ein Hühnerhauteffekt einstellen kann. Selbst bei klassischer Musik macht dieser Speaker eine gute Figur. Die Instrumente klingen natürlich, und klassische Stimmlagen liegen durchaus schön und flüssig im Ohr.

Test Klipsch The One

Die US-amerikanische Traditionsmarke Klipsch produziert ihre grossen, klassischen Hornlautsprecher als Heritage-Serie immer noch und scheint damit Erfolg zu haben. Mit «wireless Heritage» hat man den Spagat vollbracht, die eindrückliche Erfolgsgeschichte auch mit modernen, praktischen Produkten abzubilden.
The One greift denn auch diese klassisch-konservative Designsprache auf, die man z.B. beim Hornaufsatz des Klipsch-Eckhorns findet. Diese amerikanische Ur-Eleganz der 1950er Jahre findet wieder Anklang nach Jahren der gebürsteten Aluminium-Oberflächen. Die Sprache der Form und Verarbeitung ist perfekt gelungen.
Die Bedienung ist funktional reduziert. Es gibt keine Klangregler. Der Lautstärkenregler und ein Drehschalter für die Eingangswahl sind ausreichend, findet Klipsch. Ich auch. Der eingebaute Akku erfordert ein externes Ladegerät. Man hätte bei der Gehäusegrösse das Netzteil integrieren können. The One ist portabel.
Der Sound
Der Klangcharakter ist am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, da unaufdringlich und etwas schlank. Das gilt aber nur für einen kurzen Moment. Der Bass ist trocken und sehr sauber. Er dickt nie auf. Die Stimmwiedergabe klingt absolut wunderbar und die Hochtonauflösung vermittelt viele Detailinformationen. Gerade bei klassischer Musik kann The One ein verblüffendes Feingefühl vermitteln. Entscheidend ist dafür eine beeindruckende Feindynamik, die irgendwie tatsächlich an die Hornlautsprecher erinnert. Wer zuhause eine tolle HiFi-Anlage hat und für die Ferienwohnung oder das Home Office etwas sucht, was echte Klangkultur vermittelt, der kann hier fündig werden.

Test Klipsch The Three

The Three ist grösser, aber vor allem vielseitiger. Es gibt nebst Bluetooth eine WiFi-Funktion: DTS Play-Fi, also eine WiFi-Funktion für das Multiroom System DTS Play-Fi, einen USB-Eingang und einen Analogeingang (Cinch), der umschaltbar als Phonoeingang genutzt werden kann (inklusive Erdungsanschluss). Plattenspieler mit MM-Tonzelle können direkt angeschlossen werden. Das Gerät ist portabel, benötigt aber in jedem Fall ein Stromkabel. Akkubetrieb ist nicht nötig.
Ich halte kurz inne. Plattenspieler erleben einen beispiellosen Boom, doch viele interessierte Konsumenten haben keine Anlage, um den Vinyldreher zu betreiben. Mit dem «Klipsch 3er» kann man das, ohne dass man einen Plattenspieler mit einem Bluetooth-Ausgang vergewaltigen muss. Das Gerät ist für analog geradezu ideal konzipiert.
Der Sound
Gesagt, getan. Ich habe damit Schallplatten gehört und bin beeindruckt, wie der analoge Klangcharakter alter Jazz-Aufnahmen damit reproduziert werden kann. Ich verwendete einen REGA Planar 2 als adäquaten Zuspieler und hörte u.a. Mono-Aufnahmen der 1950er Jahre.
Die Klangqualität ist sehr überzeugend und reicht über das kleinere Modell hinaus. Enorm flüssig, dynamisch und von grosser emotionaler Strahlkraft. In dieser Produktkategorie ist The Three ein Ausnahmetalent.

Test Vifa: From Oslo with love

Der Vifa Oslo ist wunderschön nordisch kühl und funktional gestaltet. Der Traggriff macht ihn trotz seinem Gewicht auch für längere Distanzen bequem tragbar. Nebst Bluetooth aptX 4.0 steht auch der drahtlose, sichere Übertragungsstandard NFC zur Verfügung und ein Analogeingang (Mini Jack).
Die zwei Bedienungstasten sind durch die Stoffabdeckung (von Kvadrat) zu erfühlen. Die Symbole sind eingestickt. Das Gehäuse ist eine kunststoffbeschichtete Aluminium-Konstruktion. Es kommen Vifa-Lautsprechertreiber zum Einsatz: 2 Breitbänder und 2 Basstreiber.
Der Sound
Nach meiner Erfahrung mit Klipsch und Marshall wirkt der Oslo von Vifa vergleichsweise dezent und zurückhaltend. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn Carreras (Oslo) und Pavarotti (Klipsch) dieselbe Arie singen. Der Bassbereich ist sehr präsent und wuchtig. Besonders auffällig war die Klangwärme bei einer Sopranstimme. Der Klang des Oslo ist ausgereift und trifft einen breiten Geschmack.

Test GPO Mini Westwood

Unter der Marke GPO wird ein grosses Sortiment an Retro-Geräten hergestellt und vertrieben. GPO ist sicher keine Traditionsfirma im Audio-Geschäft und der Mini Westwood fühlt sich auch eher an, als wenn der «Jö-Effekt» im Vordergrund stehen würde.
Auf den zweiten Blick fällt die Verarbeitungsqualität deutlich ab und erreicht nimmer das Niveau des Testfelds. Das mittelbraune Kunstleder ist auf der Unterseite unsorgfältig zusammengefügt. Die Metall-Applikationen sind billig und auf alt getrimmt. Die Regler haben noch nicht einmal eine Markierung, um deren Stellung zu erkennen. Schade, denn das Design wäre ja hübsch.
Nebst Bluetooth steht ein Analogeingang zur Verfügung. Dass man den Stecker für das Ladekabel wohl aus Kostengründen auf die Frontseite gepflanzt hat, ist sehr gewöhnungsbedürftig.
Der Sound
Der Westwood Mini beeindruckte mich klanglich nicht. Er lässt Bass vermissen und neigt zu Klangfärbungen. Es kommt keine Stimmung herüber. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Das Teil ist eine reine Spassangelegenheit und mit grossem Abstand der günstigste Speaker im Test.
Fazit & Steckbriefe

Für mich sind zwei Dinge bewiesen:
Traditionsbewusste Audio-Hersteller wie Klipsch, Vifa sowie der professionelle Ausrüster Marshall verfügen über das Knowhow und die Cleverness, wirklich gute, portable Lautsprecher zu bauen. Dabei sind nicht nur Technologie und Raffinesse ausschlaggebend, sondern auch die langjährige Erfahrung im Metier. GPO hat vermutlich Besseres zu bieten. Das Sortiment ist gross und das hier getestete Modell kann nicht mithalten.
Kommt hinzu, dass ein gewisses Gehäusevolumen und eine rigide Bauweise ganz einfach dem Klang guttun. Die Verbindung von traditionellen Werten und moderner Technik funktioniert. Das ist eine gute Nachricht. Es geht nicht nur um Software. Es geht auch um Klangphilosophie.
Ich befürchtete anfangs, dass es sich hier bloss um die Zurschaustellung von Markenbotschaften handeln könnte: Einheitsklang, ein Logo dazu und etwas Lifestyle. Dem ist zum Glück nicht so.
Ein Tipp an die Hersteller: Wir können mit Leistungsdaten in Watt wenig anfangen. Wichtig wäre der max. Schalldruck in dB, in einem Meter Abstand gemessen. - So wie bei Aktivlautsprechern üblich.
Preise
Empfohlene Verkaufspreise der Schweizer Vertriebe inkl. MWST:
Marshall Stockwell: 239 CHF
Marshall Kilburn: 299 CHF
Marshall Woburn: 499 CHF
Klipsch The One: 399 CHF
Klipsch The Three: 499 CHF
Vifa Oslo: 499 CHF
GPO Mini Westwood: 89 CHF
Versenkbare Regler.
Onlinelink:
https://www.avguide.ch/testbericht/alte-zeiten-gute-zeiten-test-von-7-bluetooth-speakern-mit-vergangenheit