Ohne Fehl und Tadel
Test Clearaudio Laufwerk und Tangentialarm TT5

Clearaudio versteht es, Begehrlichkeiten zu wecken. Die fränkischen Analogspezialisten stellten auf der Messe High End 2015 einen neuen Tangentialtonarm vor. Und zwar einen für unter 2300 Franken. Das kann getrost als kleine Sensation gelten.
Die Erlangener hatten vorher schon drei Schlittenläufer im Programm. Beginnend mit dem ultimativen TT 1, der zum hauseigenen „Statement“-Programm gehört, mit Laufwerk und Tondose in den sechsstelligen Frankenbereich vorstösst und als Kaiser der Tangentialen gelten darf.
Die ihm untergeordneten TT 2 und TT 3 sind auch nicht von schlechten Eltern, kosten aber auch entsprechend aristokratische Preise. Der neue, fast schon volkstümliche TT trägt die Nummer 5, aus Ehrfurcht vor fernöstlichen Kunden. Denn in China gilt die 4 als Unglückszahl.
Als Glücksfall hingegen ist ein Tangentialtonarm zu diesem Preis, so er denn funktioniert. Die technischen Herausforderungen an die ja theoretisch richtige Massnahme, eine Schallplatte auch so abzutasten, wie sie bei der Herstellung geschnitten wurde, sind nämlich immens.
Das tangentiale Prinzip
Im Schallplatten-Schneidstudio treibt das Signal den Stichel schnurgerade vom Plattenrand Richtung Mittelpunkt vor, also auf einer Radial-Linie. Der Schneidkopf steht dabei immer im gleichen Winkel zur geschnittenen Rille, immer tangential, Abweichung null Grad.
Bei den heute üblichen, so genannten Radialtonarmen aber beschreibt die Abtastnadel ihrerseits eine Kreis(ausschnitts)bahn über der Scheibe. Dieser Kreisausschnitt schneidet die Radiallinie nur an zwei Punkten; und nur an diesen zwei Punkten steht die Nadel exakt so in der Rille, wie diese geschnitten wurde.
Bei allen anderen 664 Malen, die der Bogen bei einer 20-minütigen Schallplattenseite den gedachten Radius passiert, tut er dies mit einer gewissen Abweichung vom Ideal, man spricht vom tangentialen Spurfehlwinkel. Diesen verzerrungsträchtigen Fehler zu minimieren, ist eine Wissenschaft für sich. Ganze Glaubenskriege fanden statt und HiFi-Freundschaften zerbrachen an der Frage, nach welcher Schablone man für welche Schallplatten den Winkel optimiert.
Warum also ihn nicht ganz vermeiden, warum sind Arme ohne Fehl so selten? Weil der mechanische und fertigungstechnische Aufwand einen Tangentialtonarm eben teuer macht. Das grösste Problem ist die reibungslose Wanderschaft des Tonabnehmers von – meistens – aussen nach innen. Es gab verschiedene, unbefriedigende Lösungen. Zum Beispiel zwangen Servomotoren einst den auf gerader Linie über die Platte geführten Arm auf Kurs. Doch die zerrten mal über Gebühr an der empfindlichen Nadelmechanik, mal fielen sie aus.
Es gab luftkissengelagerte Arme, wo der Lärm des Blasebalgs oder seine Ausfälle jeden Musikgenuss ad absurdum führten. Und es gab und gibt eben Arme, wo die Lagerreibung des Schlittens so gering gehalten wird, dass ihn allein die Trackingkraft der Rille zieht. Die Clearaudio TTs verrichten so ihre Arbeit.
Der Job ist alles andere als trivial. Der Schlitten führt schliesslich den kurzen Tonarm samt Abtastsystem. Dieses braucht eine gewisse Auflagekraft und sollte dazu noch auch mit welligen oder eiernden Platten klarkommen. Sprich: Ein komplexes System von Massen und Beschleunigungen will mechanisch beherrscht sein.
TT5 - Die Justage

Um es vorwegzunehmen: Der TT 5 beherrscht den Job. Hier fährt der Schlitten ohne jegliches Gleitmittel auf trockenen Kugellagern über ein glattpoliertes Glasrohr. Der Stummelarm aus Carbon findet Halt in den zwei Halbschalen einer Doppelschraubenklemme. An seinem einen Ende ist das Headshell zur Aufnahme des Tonabnehmer-Systems, am anderen wird das Gegengewicht zur Justage der Auflagekraft übergestülpt. Der avguide.ch empfiehlt allen Konsumenten ohne grossen Ehrgeiz, die Montage und Justage dem Händler zu überlassen. Der Autor indes war ambitioniert, Ein- und Aufbau selber zu leisten.
Die Justage eines Tonabnehmers im TT 5 erfordert eine extrem ruhige Hand, eine gewisse Übung und viel Geduld. So will der Azimuth am TT 5 mit viel Gefühl optimiert sein. Also den senkrechten Stand der Nadel in der Rille, welcher über präzise Ortung und Kanaltrennung entscheidet und durchaus nicht bei jedem Pickup exakt 90 Grad zur Gehäuseunterkante entspricht. Beim TT 5 galt es noch, auf engem Raum, von unten blind tastend oder via Spiegel verortet, die Schrauben der erwähnten Klemme mit einem zarten Imbusschlüssel zu lösen und vor allem wieder – Vorsicht, bloss nicht zu fest – zu fixieren.
Beim Ausbalancieren der Auflagekraft behalf sich der Autor von vornherein, die Feststellschraube für das Gegengewicht nach oben zu drehen. Hilfreich dabei war die beiliegende Tonarmwaage.

Nach tatsächlich nicht allzu komplizierter Höheneinstellung des Arms, also der Justage des Vertical Tracking Angle VTA, muss anschliessend die Tangentiale mit Hilfe der ebenfalls beiliegenden Schablone eingerichtet werden. Hierzu muss der Monteur die gleiche Klemmschraube im Aluminium-Klemmring der Tonarmbasis lösen, die er für korrekten VTA schon fixiert hatte.
„Achten Sie dabei bitte darauf, dass die Höhe des Tonarms nicht verstellt wird“, mahnt die im Übrigen vorbildliche Justage-Anleitung, während man fluchend in der Horizontalen das Rohr Mikrometer um Mikrometer dreht, bis der Spurfehlwinkel über die komplette Plattenseitendistanz null ist. Ganz wichtig: unbedingt die Distanzempfehlung Nadelspitze – vertikaler Drehpunkt des Stummelarms einhalten. Sonst droht die Gefahr, dass die Nadel aus der Auslaufrille jaulend zurück auf die Platte geschleudert wird. Das ergibt nicht nur unschöne Geräusche, sondern kann auch Nadel und Platte beschädigen. Einmal richtig justiert, passiert das definitiv nicht mehr, so die Erfahrung nach inzwischen Hunderten LP-Durchläufen.
Die präzise horizontale Ausrichtung des Arms machen die beiliegenden Imbusschlüssel, die gut zugänglichen Einstellmuttern und die im Führrohr eingebaute Wasserwaage zur leichten Übung. Zum Glück, denn in der Einspielzeit sollte ab und an nachjustiert werden.
Das Laufwerk

Als Partner des TT 5 wählte avguide.ch das Laufwerk Performance DC. Schon der Performance war ein Preis-Leistungs-Champion. Die getunte DC-Version mit ihrem entkoppelten, sehr laufruhigen Gleichstrommotor und dem superben CMB-Magnetlager tritt das Erbe souverän an. Der in Schwarz oder Silber lieferbare Plattenspieler-Beau war in kürzester Zeit aufgebaut und perfekt waagrecht auf seinen vier höhenverstellbaren Füssen aufgestellt. Eine runde Wasserwaage, Libelle genannt, liegt bei und hilft. Dabei bewährte sich zum wiederholten Male, den Spieler auf ein massives, mit Spikes entkoppeltes Holzbrett zu stellen.
Der Performance DC, den es natürlich auch mit anderen Armen gibt, wird mit einem kleinen Steckernetzteil geliefert. Weil das Testexemplar minimal (und unhörbar) zu langsam lief, könnten hier stärkere und regelfähige Netzteile eine Tuningmassnahme sein. Der Clearaudio-Katalog bietet hier reichlich sinnvolles Zubehör zur Drehzahlkontrolle wie etwa Stroboskop-Scheiben und -Leuchten. Ansonsten bewährte sich der Performance DC bei Messungen mit sehr guten Rumpelwerten und tadellosem Gleichlauf – eine Laufwerk-Arm-Kombi also ohne (Spur)Fehl(winkel) und ohne Tadel für unerwünschte Nebengeräusche.
Die Test-Kombination
Das Test-Trio komplettierte das bekannte Moving-Coil-System Clearaudio MC Concept (um 600 Franken). Auch dies noch immer ein Anführer der inoffiziellen Preis-Leistungs-Charts und mit 100 Ohm Abschlusswiderstand völlig problemlos zu kombinieren. Doch ganz neu traf auch das MC Essence beim Tester ein. Was besonders viel Sinn machte, bietet doch der Schweizer Clearaudio-Importeur Sacom das Trio Performance DC/TT 5/MC Essence zum Kombipreis von 4470 Franken an, was gegenüber der Addition der Listenpreise (Performance DC „nackt“: 1950, TT 5: 2290, MC Essence: 1140 Franken) eine erhebliche Einsparung bedeutet.

Angeschlossen wurden die Systeme dank der Durchverkabelung ohne weiteres Phonokabel sowohl mit der MC-Stufe des Röhrenvorverstärkers Octave HP 500 SE als auch mit dem Linn Linto sowie dem frisch überholten EAR 834P. Zum Vergleich standen das Laufwerk Clearaudio Anniversary mit verschiedenen Armen und Systemen zur Verfügung.
Der Hörtest

Der Autor fängt solche Tests gerne mit alten Monoaufnahmen an. Erstens lässt das Hintergrundrauschen schon Rückschlüsse auf den Gesamtcharakter zu. Zweitens kommt man so einer instabilen Mittenabbildung sofort auf die Schliche. Und drittens lässt man immer wieder gerne die alten Helden aufmarschieren. So Dirigenten-Genius Wilhelm Furtwängler mit seiner 1950er-Einspielung von Beethovens 7. Sinfonie (EMI). Sofort fielen das unaufgeregte Rillengeräusch und das von allem nervösen Zischeln befreite Rauschen auf. Beim Einsatz der Instrumente standen alle präzise zwischen den Lautsprechern, ohne je nach Tonhöhe und Klangcharakter zu wandern. Nicht nur die fummelige Azimuth-Justage war wohl gelungen, sondern das Gesamtsystem offenbarte eine selbstverständliche Souveränität, die in dieser Preisklasse eher selten anzutreffen ist.
Gleiches Werk, anderer Ausnahme-Dirigent, viel besserer und stereophoner Klang: Carlos Kleiber hat für die Deutsche Grammophon die wohl intensivste Lesart dieser rhythmusbetonten Sinfonie vorgelegt. Die Tangential-Kombi hielt Kurs: Die Streicher, Bläser und der Paukist der Wiener Philharmoniker sassen genau am angestammten Platz, die Tiefenstaffellung stimmte, das Feuerwerk der Klangfarben glühte, ohne allzu sehr zu gleissen.
Das machte schon Lust auf viele Plattenwechsel, auch wenn das anstossfreie Auflegen durch den Tangentialtonarm etwas erschwert war. Der TT 5 verzichtet aus Preisgründen auf den praktischen Kipp-Mechanismus seiner Brüder. Doch auch hier kann man Abhilfe aus dem Clearaudio-Zubehör-Regal schaffen. Dort gibt es für 437 Franken die Swing Base, die dem TT 5 eine schwenkbare Basis schafft. Praktisch!
Der Lift will mit sanfter Hand bedient sein, damit der Kurzarm nicht ins Schlackern gerät, beziehungsweise die Nadel nicht zu rasant in die Rille saust.
Von innen nach aussen

Apropos Rasanz: Prinzipbedingt steht bei gleicher Drehgeschwindigkeit in den inneren Abschnitten weniger Rillenweg pro Zeiteinheit zur Verfügung. Und damit weniger dynamischer und frequenzmässiger Spielraum für die Schneidetechniker. Nun sind insbesondere klassische Musikwerke oft am Anfang leise, am Ende aber laut – was die Verzerrungsgefahr zum Abschluss hin nochmals erhöht. Andreas Spreer, audiophiler Chef des deutschen Wohlklanglabels Tacet, hat daraus einen Schluss gezogen. Die bei seinem Label erschienene Einspielung des Orchester-Hits „Boléro“ von Maurice Ravel liess er von innen nach aussen schneiden. Leiser Beginn mit problemlos eingeschränktem Platz, das laute Ende mit viel Auslauf aussen.
Als „oreloB“ unter die Nadel kam, spielte Ravels Reisser in der klanglich fantastischen Produktion unter Carlo Rizzi mit erstaunlichem Druck, mit viel Schwung, beeindruckendem Farbreichtum und müheloser Dynamik bis zum brachialen Schluss.
Aber auch in anderen Disziplinen – und wieder von aussen nach innen – überzeugte das Clearaudio-Gespann. Souverän absolvierte die Kombi insbesondere mit dem ausgezeichneten MC Essence vom härtesten Rock bis zur zartesten Kammermusik die Aufnahmeprüfung ins HighEnd. Die saubere Akkuratesse ist ihre Paradedisziplin.
Sehr viel teurere Ensembles vermögen noch schwärzere, bedrohlichere Bässe und etwas mehr Dynamik und Stabilität aus der Rille zu holen. Doch dafür kosten sie auch entsprechend mehr.
Das Beste zum Schluss

zu guter Letzt gab es noch eine Spezialprüfung. Der Autor hat einige Jahre in der Schweiz verbracht und dort den Mundart-Sänger Gölä schätzen gelernt. Seine schönste Platte hat er in Nashville mit US-Profimusikern gemacht, die eine Auswahl seiner besten Rock-Balladen einspielten. Die „Nashville-Aufnahmen“ gab es auch auf limitierter Doppel-LP. Mit einem Schönheitsfehler: Seite C wurde exzentrisch gepresst. Und deshalb „eiern“ Supersongs wie „We du jung bisch“ oder „Uf u dervo“ auf den meisten Drehern gottserbärmlich. Der völlig unbeeindruckt hin- und hertanzende TT 5 milderte das wohltuend ab. Und so endete ein schöner Hörtest mit einem nostalgiesatten Gölä-Gedächtnis-Konzert.
Fazit
Clearaudio hat mit der Kombination Laufwerk Performance DC, Tangentialtonarm TT 5 und Tonabnehmer MC Essence einen faszinierenden Plattenspieler auf den Weg gebracht. Insbesondere der TT 5 darf schon jetzt als absolutes Highlight der Analogtechnik gelten. Er spielt auch auf „grösseren“ Laufwerken mit fantastischer Sauberkeit und Akkuratesse. Einbussen beim Komfort kann man hinnehmen oder mit der Swing Base kompensieren.
Wenn man die Justage dem Fachmann überlässt, darf sich auch der anspruchsvolle Einsteiger über einen superb klingenden, technisch ausgereiften und optisch ansprechenden Komplettplattenspieler mit ausgezeichnetem Preis-Leistungs-Verhältnis freuen. Ein Angebot ohne Fehl und Tadel.
Hervorragender Tonarm
Laufwerk, Tonarm, Tondose auch einzeln universell nutzbar
Onlinelink:
https://www.avguide.ch/testbericht/ohne-fehl-und-tadel-test-clearaudio-laufwerk-und-tangentialarm-tt5