British First Class
Test Graham Audio Chartwell LS6F Lautsprecher
Graham Audio wurde 2005 vom Namensgeber Paul Graham gegründet. Er war mehr als 20 Jahre in allen Bereichen der professionellen Audiotechnik, Aufnahme- und Rundfunkindustrie sowie bei Live-Konzerten und Aufführungen tätig. Graham Audio ist eine der Lautsprecher-Firmen, die in der grossen Tradition der englischen BBC-Monitoren stehen.
Der Firmengründer hatte immer den «BBC Sound» sowohl für professionelle als auch für private Anwendungen favorisiert. Seine Befürchtung war, dass das Know-how verloren gehen würde, als einer seiner BBC-Monitore nach jahrzehntelangem Betrieb langsam versagte. Durch glückliche Umstände und viele Gesprächen wurde Graham Audio dann vor 10 Jahren die Lizenz zum Bau der BBC-Monitore durch die BBC offiziell erteilt.

Graham Audio ist ein Familienbetrieb, sesshaft im südwestlichen Newton Abbott in der Grafschaft Devon. Der Betrieb mag klein sein, jedoch ist man sehr stolz, sämtliche Lautsprecher in Handarbeit inhouse herstellen zu können. Jeweils eine Person ist für den einzelnen Herstellungsschritt verantwortlich, wobei neben der Fertigung auch das Testen und das Probehören dazugehören. Eine zweite Person prüft das fertige Produkt nochmals, wobei der Test wiederholt wird und die Ergebnisse für spätere Kontrollen gespeichert werden. Die Resultate werden zusätzlich mit den Master-Referenzmustern verglichen, um eine vollständige Qualitätssicherung zu gewährleisten. Also eine echte Lautsprecher-Manufaktur, wie es sie leider immer weniger gibt.
Das «3/5 A» ist vielleicht das bekannteste Modell der BBC-Monitor-Typen. Gerne lösen wir das Rätsel hinter der etwas typisch britisch-schrägen Typenbezeichnung auf. Also, die Modelle die mit einer «3» beginnen, sind Lautsprecher, die von der BBC für Ausseneinsätze vorgesehen waren. Jene mit einer «5» sind die Studio-Monitore für Inneneinsätze in Tonstudios und für das Mastering zum Abmischen der Aufnahmen. Die Zahl nach dem Schrägstrich definiert das eigentliche Modell: ohne Buchstaben ist die erste Version, A ist dann die zweite Version, B die dritte Version. Alles klar?

Paul Graham, der Firmengründer von Graham Audio, entwarf seinen ersten BBC-Lautsprecher mit dem Namen LS5/9. Das erste Modell wurde so begeistert vom Markt aufgenommen, dass Graham Audio seine Modellpalette kontinuierlich ausbauen konnte. Dazu kamen die Modelle LS 5/8 und das berühmte LS 3/5. Mit der Akquisition des Lautsprecherherstellers Chartwell vor fünf Jahren wurde die Palette zusätzlich erweitert. Daher hat das hier getestete Modell LS6 und LS6F auch die Bezeichnung «Graham Audio Chartwell». Das «F» steht übrigens für Standlautsprecher («floorstander»). Die Monitor-Version wird LS6 genannt und steht in der Regel auf einem firmeneigenen, filigranen Metallständer.

Als Flaggschiffmodelle gelten der LS5/8, LS5/5 und der fast mannshohe «VOTU», der nur auf Bestellung hergestellt wird. Ergänzt wird das Sortiment durch ein passives Subwoofer-Paar Chartwell Sub3, das den LS3/5A im Bassbereich unterstützen kann.

Englische Lautsprecher hatten und haben in der Schweiz eine grosse Fan-Gemeinde. Auch Moreno Cazzin vom «audiosense»-Vertrieb ist einer dieser Verehrer der englischen Klangtradition. Cazzin entschied sich vor einem Jahr, die Graham-Audio-Lautsprecher als Distributor in der Schweiz zu vertreiben. Das komplette Graham-Audio-Sortiment ist in den geschmackvoll eingerichteten Räumen in Küttigen AG vorführbereit.
Aber nun Vorhang auf für das schlanke und elegante Standlautsprecher-Modell Chartwell LS6F von Graham Audio.
Graham Audio Chartwell LS6F
Das getestete Lautsprecher-Modell Graham Audio Chartwell LS6F wurde, wie die meisten Graham-Lautsprecher, von Derek Hughes konstruiert. Derek Hughes (der Sohn von Spencer und Dorothy Huges; Spendor) ist selbst eine Ikone, er ist schon unglaubliche 50 Jahre im Business tätig!
Die Chassis, die in den Graham-Lautsprecher verbaut werden, kommen aus dem Hause SEAS. Audax und VOLT und sind Sonderanfertigungen, die nach genauen Spezifikationen und Angaben von Graham Audio gefertigt werden.

Als Hochtöner kommt bei der LS6F ein 19-mm-Soft-Dome-Chassis von SEAS zum Einsatz, das eine Sonderanfertigung für Graham Audio ist. Als Tief-/Mitteltöner kommt ebenfalls ein von SEAS gefertigtes 165-mm-Polypropylen-Chassis zur Anwendung.

Wie bei allen Graham-Audio-Lautsprechern kommt auch bei diesem Modell
das klassische BBC-«Dünnwand»-Gehäuse in Anwendung. Nur bei gewissen Stellen wird innen mit stärkeren Dämpfungselementen gearbeitet. Diese Philosophie bekämpft die Resonanzen nicht mit massiven Gehäusen und exotischen Materialien, sondern leitet diese ab.
Die interne Bedämpfung wird durch Steinwolle bewerkstelligt. Eine hochwertige und optisch durchaus attraktive Abdeckung wird mitgeliefert. Wegen der magnetischen Befestigung lassen sich diese elegant befestigen und auch wieder wegnehmen. Ich selber bevorzuge es, die Lautsprecher in der Regel ohne Abdeckung zu sehen und zu hören. Allerdings macht die Abdeckung absolut Sinn, um die Chassis vor Staub und UV-Strahlung zu schützen.

Das Gehäuse wirkt sehr hochwertig und kann in vielen unterschiedlichen Holzfurniersorten bestellt werden, namentlich in Eiche, Kirsche, Rosen- und Ebenholz. In Eiche und Kirsche kosten die LS6F CHF 3750 das Paar, Rosenholz kostet zusätzlich CHF 300, Ebenholz CHF 530 mehr. Das Testmodell in der Ausführung Kirschholz hat sich prima auf dem Eichen-Parkett gemacht – eine Augenweide!
Frequenzweiche, Kabel und Anschluss-Terminal
Über die Weiche sind keine Spezifikationen zu finden. Der Hersteller hält sich bedeckt und weist auf sehr hochwertige Komponenten hin. Der Wirkungsgrad wird mit 87 dB angegeben, also relativ niedrig, was mir realistisch erschien. Auf der Frontseite findet sich ein Schalter, mit dem der Hochtonbereich um 1 bzw. 2 Dezibel angehoben werden kann.
Das ist sicherlich für stark bedämpfte Räume eine interessante Option. Ich beliess für den Hörtest den Schalter in der neutralen Position. Die Lautsprecherterminals sind «single-wiring» und sehr hochwertig ausgeführt. Oberhalb des Terminals befindet das Typenschild mit Seriennummer und der Unterschrift der Person, die den Lautsprecher hergestellt hat. Herstellung im alten Stil – ich mag das sehr!

Hörtest
Die Aufstellung war ein Klacks. Anstelle der üblichen Spikes lieferte der Vertrieb Audiosense die LS6F mit den norwegischen «Soundcare Superspike»-Füsschen aus. Neben der Absorbierung unerwünschter Resonanzen können die Lautsprecher mit diesen Füssen leicht verschoben werden, was das korrekte Platzieren ungemein erleichtert.
Da die Bassreflex-Öffnung nach unten abstrahlt, war in meinem Raum die Platzierung relativ problemlos. Trotzdem lohnt es sich hier zu experimentieren, da ja die tiefen Töne bekanntlich rundstrahlen und den Raum gerne überproportional anregen können.
Um die Graham Audio LS6F standesgemäss anzutreiben, betrieb ich sie am Vollverstärker EAR Yoshino V12. Dieser leistet 2 x 60 Watt an 8 Ohm. Als Zuspieler nützte ich den CD/DAC EAR Acute Classic. Diese Geräte sollten ganz sicher das Potenzial der LS6F aufzeigen können. Sehr hochwertige, österreichische Kabel von «econaudio» kitzelten auch noch das letzte Klangfitzelchen aus den edlen EAR-Herrschaften heraus.

Ich liess die Komponenten und Lautsprecher einige Tage einspielen und hörte sie zuerst eher mal so nebenher. Das klang doch schon mal sehr vielversprechend. Dann aber konnte ich eines Abends nicht mehr länger warten, machte mir einen schönen Espresso – und die englischen «Graham Audio Sound Games Part One» konnten beginnen. Zwar genoss ich keinen englischen Schwarztee, doch das wäre eh nicht mein Cup of Tea.
Ganz manierlich und locker begann ich mit dem Hi-Res-Album «But Beautiful» von Diana Krall. Die inzwischen warm gelaufenen Röhren und die Chartwell LS6F transportierten die Stimme von Diana Krall sowie die Instrumente ihrer Band vorzüglich. Der Jazz perlte leicht und süffig in den Raum. Die Höhen hatten Schmelz und Auflösung, ohne aber ins Analytische abzudriften. Dianas Stimme war sehr gut durchhörbar und hatte das richtige Timbre mit dem gewissen Etwas. Am unteren Rand des Frequenz-Spektrums lieferte der Bass ab – nicht zu dünn, aber auch nie aufdringlich.
Weiter auf der Playlist (wir bleiben noch beim Jazz)b befand sich die fantastische Live-Aufnahme «Keith don’t go» von Nils Lofgren. Ich war entzückt. Auch hier: Auflösung, Tempo – alles da, doch die anspruchsvolle, dynamische Live-Aufnahme mit der fantastischen Akustik-Gitarre kippte nie ins Harsche. Vielleicht denken Sie nun, das sei dem «warmen» Röhren-Sound geschuldet. Ob das so ist, werde ich im zweiten Teil der Graham Sound Games ausprobieren. Versprochen!
Ich hatte noch die hochwertigen Monrio-Transistor-Mono-Endstufen MP11 rumstehen, die schon etwas neidisch auf den Röhrenverstärker waren und die sich auch noch an den Chartwell LS6F beweisen wollten.
Nun kam wieder die geniale, einheimische «Elektro-Krach-Truppe» Yello – sorry Boris und Dieter, das ist zärtlich gemeint – auf den Streamer. Nicht das neue Album «Point», sondern das Latino-gefärbte Album «One Second». Und da zeigte die gar nicht so kühle Engländerin, wie heissblütig sie aufspielen kann. Sie ging zu dem Elektro-Latino-Sound ab wie Schmidts Katze. Und wieder war alles da: schön präsent, aber nie langweilig!
Ob die LS6F eine Schönfärberin ist, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Ich frage mich das grad auch. Eine qualitativ schlechte Aufnahme aus den 90er-Jahren – sie will anonym bleiben – holt mich abrupt von meinem audiophilen Höhenflug auf den Boden zurück. Nein, sie ist keine Schönfärberin und zeigt gnadenlos auf, wie schlecht Aufnahmen sein können. Eigentlich kann sie sich auch das Sound-Schmeicheln mit ihrem edlen, britischen BBC-Studio-Monitor-Stammbaum nicht leisten.
Graham-Audio-Testspiele Teil 2
Nun musste der Röhrenverstärker EAR V12 weichen. Nun wurden die Monrio-Mono-Endstufen mit den Chartwell LS6F verkabelt. Wie es sich gehört, wurden die Monos auch vorgeheizt, bis sie endlich von der Leine gelassen werden konnten. Zuerst mal muss ich sagen, dass die klanglichen Unterschiede kleiner waren als ich sie erwartet hatte.
Die Graham Audio LS6F spielten mit den Monrio MP11 ebenfalls räumlich, lebendig und ohne einen Bereich zu betonen. Die Räumlichkeit war mit dem Transistorverstärker mehr in die Breite ausgedehnt – mit dem EAR V12 bekam sie nun mehr Tiefe. Die Stimmen kamen mit dem EAR einen Hauch wärmer, dafür war der Bass mit den Monrio Monos abgrundtief und nochmals kontrollierter.
Der gnadenlose, präzise und schnelle Bass machte natürlich speziell bei Yello-Aufnahmen extrem viel Spass. Und ja, man kann mit den LS6f durchaus seine Nachbarn ärgern. Dass EAR-Verstärker wissen, wie Highend geht, war anzunehmen, die Monrios hingegen waren meine persönliche positive Überraschung!

Fazit
BBC, Good old England, Tradition: Das klingt nicht wirklich nach Innovation. Weit gefehlt! Graham Audio verbindet Tradition mit Innovation dank Jahrzehnten an Erfahrung in der traditionellen Produktion von Lautsprechern mit modernsten Chassis und Komponenten. Wie die Engländer sagen würden, bringen sie «best of both worlds» zusammen. Oder auf gut Deutsch: Sie bewahren Bewährtes und setzen Neues sinnvoll ein. Das Resultat dieses Mixes ist grossartig. Graham Audio hat seine Hausaufgaben sehr gut gemacht. Die Chartwell LS6F und ihre Sortimentsbrüder und -schwestern werden auch in der Schweiz viele neue Fans finden. Hut ab für Graham Audio!
- Optisch attraktiv und in vielen Holz-Furniersorten lieferbar
- Relativ guter Wirkungsgrad
- Trotz Bassreflex-Öffnung flexibel in der Platzierung
- Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis
- Bi-Wiring nicht möglich
Onlinelink:
https://www.avguide.ch/testbericht/test-graham-audio-chartwell-ls6f-lautsprecher-british-first-class