Heiss und kalt
Test Mono-Endstufen Classé Sigma Mono

Schön, wenn Vorurteile mal so richtig kippen. Als avguide.ch die Monoblöcke Sigma Mono zum Test bat, da rechnete der Autor mit schwerem Gerät. Doch die im Paar 9200 Franken teuren Endstufen können mit einem Körpergewicht von gerade mal zehn Kilogramm pro Stück fast schon als mobil gelten, die lendenwirbelsäulenschädigende Hingabe vieler ihrer Artgenossen zur Erdanziehungskraft haben sie mal nicht. Und mit Aussenmassen von 44 mal 9,5 mal 37 Zentimeter zeigen sie sich fast schon zierlich.
Die Zeiten, sie ändern sich – das wusste Bob Dylan, inzwischen 75 Jahre jung, schon in den frühen 1960ern. Und was für die Zeiten gilt, das gilt offenbar auch für die HiFi-Technik. Und was für die HiFi-Technik gilt, gilt offenbar auch für Endstufen, und sogar für ihre Unterart, den Monoblock. Das waren und sind oft die zentnerschweren Kaliber, mit kochtopfgrossen Netztransformatoren, mit gewaltig auskragenden Kühlrippen für ganze Herden von Leistungstransistoren oder furchteinflössenden Schwermetallchassis für glühende Röhren; und selbstverständlich auch mit Gehäusen, deren Wandstärken sich eher in Zenti- denn in Millimetern messen.
Das Äussere

Und die Classé Sigma? Okay, ja, stabil wirkt das schon – und die elegant in die Mitte der gebürsteten Aluminiumfront eingelassene, glänzend polierte Mulde zieht den Blick in die Tiefe. Zumal bis auf den Schalter links oben sonst keinerlei Zierrat von der Typenbezeichnung ablenkt. Die Seitenwände lassen sich mit vier Schrauben lösen und umgedreht wieder anschrauben. Um so die Montagewinkel anzubieten, die den Einbau in die aus der professionellen Audiotechnik bekannten 19-Zoll-Racks ermöglichen. Aha, da hat jemand mitgedacht.
Dass sich die Classé-Entwickler mit ihren Monos nicht nur an die klassische Stereo-Klientel (oder an die schwindende Minorität der Immernochmonohörer), sondern auch an wattsüchtige Highendboxen-Besitzer, Event-Beschaller und ambitionierte Heimkino-Enthusiasten wenden, sieht man auch an der Rückseite. Da findet sich ein für Endstufen doch eher ungewöhnliches Feld "Output" mit einem XLR- und einem Cinch-Anschluss. An denen liegt das durchgeschleifte (passthru) Eingangssignal an. Um entweder für den Bi-Amping-Betrieb eine weitere Endstufe zu versorgen, mehr Dampf aus dem gleichen Vorverstärker-Signal zu blasen oder um einen aktiven Subwoofer anzudocken, den die Homecineasten für den richtigen subsonischen Kitzel eben brauchen.
Das Innere

Der Blick ins Innere macht dann klar, was die Gewichtsdiät erfolgreich macht. Den anfangs zitierten riesigen Netztransformator oder auch die fetten Transistoren plus auslandende Kühlkränze sucht man vergeblich. An zwei Stellen der mehrgeteilten Platine sorgen silbrig schimmernde Bleche für Wärmeabfuhr, aber siedetaugliche Hitzegrade entstehen auch dort nicht. Der Grund: Die Classés Sigma versorgen sich per Schaltnetzteil mit Energie – und setzen die Eingangsspannungen per Class-D-Technik in lautsprechertaugliche Signalspannungen um.
Schaltnetzteile, Englisch Switch Mode Power Supply SMPS, sind im Gegensatz zu ihren konventionellen, verschwenderischen Kollegen wahre Wirkungsgradwunder. Und Leichtgewichte. Bei konventionellen Power Supplies übernehmen normalerweise Ringkern-Transformatoren die Wandlung der Wechselspannung des heimischen Stromnetzes (230 Volt, 50 Hz) in nutzbare Versorgungsspannungen der Schaltkreise. Da die sekundärseitige Leistung in etwa proportional ist zur Masse des Weicheisenkerns, steigt das Gesamtgewicht mit der verlangten Leistung.
Schaltnetzteile machen sich zunutze, dass Transformatoren bei höheren Frequenzen weit weniger Magnetkernvolumen für gleiche Leistung benötigen. Sie setzen die Netzspannung nach der Gleichrichtung in Spannung weit höherer Frequenz um ("zerhacken") und erreichen so Wirkungsgrade bis zu 90 Prozent. Das ist nicht trivial und verlangt insbesondere in der klangsensiblen HiFi-Technik clevere Tricks zum Ausmerzen von Störspannungen. Was aber Classé auch mit der Power Factor Correction (PFC) wohl gut beherrscht, denn Kollegen massen einen bewerteten Störspannungsabstand von über 88 Dezibel – sauber.
Apropos: Mit gemessenen Sinusleistungen von 373 Watt an acht Ohm und 729 Watt an vier Ohm zählt die grazile Classé Sigma zu den Kraftmeiern. Die Power erbringt sie in Class D. Die richtig oft auch als Schaltverstärker und fälschlich als Digitalverstärker bezeichneten Schaltkreise nutzen die Pulsweitenmodulation, Englisch Pulse Width Modulation PWM. Auch sie zeigen sich im Wirkungsgrad und damit in der Vermeidung überflüssiger Abwärme gegenüber konventionellen Verstärkern weit überlegen.
Die Technik

Die Sigma Monos nehmen ihre Signale ausschliesslich analog von der angeschlossenen Vorstufe, entweder via symmetrischen XLR- oder asymmetrischen Cinchbuchsen entgegen. Diese Signale entsprechen der üblichen Anhäufung von vielen Sinuswellen, aus denen normalerweise ein Klang besteht. Ein Generator erzeugt eine Dreieckswelle (oft auch "Sägezahn" genannt), dessen Frequenz deutlich höher als die höchste zu verstärkende Audiofrequenz liegt (bei Classé nach Informationen von avguide.ch 384 Kilohertz). Das Audiosignal moduliert dieses hochfrequente Trägersignal. Ein so genannter Komparator vergleicht nun die Spannungswerte des Audiosignals mit denen des Dreieckssignals. Je nachdem, welche höher liegt, schaltet er seinen Ausgang an oder aus. Es gibt – in rasend schneller Folge – also nur zwei Zustände: On oder Off. Das ist die Analogie zu Digital.
Aus der Folge dieser Schaltungen entsteht nun eine Rechteckwelle mit der gleichen Frequenz wie der Sägezahn, deren Pulsweiten (= Rechteckbreiten) unterschiedlich ausfallen und so die Amplitude und Frequenz des Audiosignals abbilden. Transistoren verstärken dieses PWM-Signal nun, in dem sie von einem so genannten Controller gesteuert entweder voll ein- oder voll ausschalten. Auch hier wieder die Analogie zu Digital: Es gibt auch für die Transistoren nur zwei Zustände. Keine "Halb"-Öffnungen wie bei Class A oder AB üblich. Auch ein Grund für die hohe Effizienz von Class-D-Amps, die bei 90 bis 95 Prozent liegt. Freilich müssen die Schaltvorgänge zeitlich hochpräzise erfolgen – und auf keinen Fall dürfen die Transistoren für die positive und die negative Halbwelle des Signals gleichzeitig geöffnet sein. Das würde Bauteile per Kurzschluss zerstören.
Schaltungsdesigner bauen nun also eine so genannte "Dead Time" ein, in der beide Transistoren oder Transistorengruppen "zu" sind. Von der Länge dieser Dead Time, gemessen in Nanosekunden (Milliardstelsekunde), hängt über komplexe Wirkungszirkel auch das Verzerrungsverhalten der Verstärker ab. Classé ist stolz darauf, die Dead Time auf unter drei Nanosekunden gedrückt zu haben. Vor allem im Zeitbereich – unser Ohr reagiert sehr sensibel auf zu unterschiedlichen Zeiten eintreffende tief- und höherfrequente Anteile eines Musiksignals – optimierten die Classé-Techniker, was sie nach eigener Aussage trotz recht rigoroser ausgangsseitiger Bandbreitenbegrenzung geschafft haben.
Vor dem Ausgang muss natürlich noch das Träger(Dreiecks)Signal herausgefiltert werden. Das übernehmen normalerweise passive Kombinationen von Induktivitäten (Spulen) und Kapazitäten (Kondensatoren), so genannte LC-Glieder. Auch sie sind klangentscheidend und oft auch mitentscheidend dafür, dass Class-D-Verstärker in ihrem Frequenzgang von der angeschlossenen Lautsprecherimpedanz abhängen. So ermittelte das Labor für die Sigmas einen recht geraden Frequenzgang im Hörbereich bei vier Ohm, bei zwei Ohm ergab sich aber ein Höhenabfall ab zwei kHz, der bei 20 kHz immerhin schon minus fünf Dezibel (dB) betrug. Die Kombination mit einem Elektrostaten wie der Martin Logan Montis (Testbericht auf avguide.ch), die bei 20 kHz unter ein Ohm liegt, empfiehlt sich also nicht. Gewöhnliche dynamische Lautsprecher beziehungsweise deren Frequenzweichen dürften hier aber keine Kapriolen verursachen.
Der Klang

So zeigten sich die Sigma Monos an der angeschlossenen Bowers & Wilkins 802 D3 (Testbericht auf avguide.ch) von ihrer besten Seite. Angesteuert vom hauseigenen Vorverstärker CP 800 MK II über symmetrische NF-Kabel von Silent Wire zeigten sie sich als Meister feinauflösender Transparenz. Praktischerweise lagen auf dem anliefernden Musikserver Aria gleich drei verschiedene Aufnahmen von Mozarts frühem "Klavierkonzert KV 175". Mit beeindruckender Klarheit durchdrangen die Classés die unterschiedlichen Klangwelten, wie sie "konventionelle" Instrumente (Alfred Brendel, 1990 mit der Academy of St. Martin in the Fields), David Greilsammer (2005, Suedama Ensemble) oder ausgewiesene "Historisten" (Ronald Brautigam, 2011, Kölner Akademie) aufbauten. Auch die unterschiedlichen Aufnahmeräume wurden plastisch nachgezeichnet.
Wer nun fürchtete, die Classés würden wie mit dem Seziermesser jede Nuance mit übergrosser Akribie aus dem Gesamtgeschehen herausschneiden, sah sich positiv enttäuscht. Als grössere Ensembles wie zum Beispiel in Peter Tschaikowskys "Rokoko-Variationen" mit dem Cellisten Pieter Wispelwey als Solisten aufmarschierten, wirkte das Ganze als geschlossene, schön miteinander kommunizierende Einheit. Die B&W 802 D3 können je nach Musikmaterial und Elektronik mal traumhaft schön geschlossen tönen, mal gnadenlos jedes Detail schlechter Aufnahmen analysieren. In den Classés fanden sie allfertige Unterstützer.
So deckte das Team unbarmherzig die Grausamkeiten verschlimmbessernder "Remaster"-Stufen bei Donald Fagens Meisterwerk "The Nightfly" auf, um dann bei guten Transfers dynamisch perfekt loszuswingen. Apropos Dynamik: Hier zeigt sich die bärenstarke Classé natürlich auch in ihrem Element. Bis zu ohrenbetäubenden Pegeln vermittelte sie immer das Gefühl, Herr der Lautstärkelage zu sein und im Zweifelsfall noch eine Schippe drauflegen zu können. Sprachen wir ganz zu Beginn von "einheizen"? Ja, die Kanadierinnen können bei Wunsch auch den Dancefloor zum Kochen bringen.
Und sie können es auch gestandenen, eher zart besaiteten Highendern warm ums Herz werden lassen. Denn die eingangs erwähnten Vorurteile kippten auch im Hörtest schön weiter. Bei aller krachscharfen Transparenz konnte die Kombination etwa bei Ray Charles’ kurz vor seinem Tod eingespielten Duett "Fever" richtig Hühnerhaut erzeugen, konnte sie bei entsprechend aufgenommenen Frauenstimmen richtig vollmundig "warm" tönen. Von wegen digitale Distanz und Kühle.
Zum Abgleich schlossen die Tester auch einmal eine "konventionelle" Endstufe an, in dem Fall die Class-AB-Wuchtbrumme Classé CTM 600. Die etwas teurere Top-Endstufe wirkte im Vergleich immer etwas "weichzeichnender", wie bei einem Foto mit minimal verschobener Schärfe. Die exzellente Tiefenschärfe, die präzise Vorne/Hinten-Ordnung, das punktgenaue Zusammenspiel bekam die "Schalt"-Schwester tatsächlich einen Tick besser hin.
Das Fazit

Der kanadische Hersteller Classé hat mit seinen Class-D-Monoendstufen gezeigt, dass sie auch im vergleichsweise günstigen, vierstelligen Preisbereich eine ganz hervorragende Performance hinlegen können. Mit den richtigen Lautsprechern kombiniert, zeigen sie trotz einer eindeutigen Bevorzugung von Transparenz, Klarheit und Präzision auch viel Sinn für Feinheiten und Fluss der Musik. Und bei Bedarf können die Boliden dank schier unerschöpflicher Kraftreserven jeder Party tüchtig einheizen. Das Verhältnis von Preis und Leistung ist ausgezeichnet.
Onlinelink:
https://www.avguide.ch/testbericht/heiss-und-kalt-test-mono-endstufen-classe-sigma-mono