MUSIKREZENSION
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Wie spielte man anno dazumal?

Weiss das Ensemble A Nocte Temporis tatsächlich, wie man Bach damals spielte?Weiss das Ensemble A Nocte Temporis tatsächlich, wie man Bach damals spielte?

Beim Anhören dieser beiden Alben kommen meine alten Vorurteile gegen gewisse Auswüchse der sogenannt "authentischen Interpretation" wieder mal so richtig zum Aufleben. Dazu möchte ich jedoch bemerken, dass ich ganz und gar nicht prinzipiell gegen das authentische Spielen auf originalen Musikinstrumenten bin.

So hat ein brüllender Opern-Heldentenor oder eine Opern-Diva mit Tremolo-Vibrato-verseuchter Stimme sicher nichts in einer Bach-Kantate zu suchen. Auch hat man früher ganz gewiss auf Streichinstrumenten mit weniger Vibrato gespielt, als das heute üblich ist. Aber das Nachdrücken der Töne ist echt das einzige an der authentischen Interpretation, das (nicht nur) mich auf die Palme bringt und mir beim Anhören Bauchschmerzen bereitet ...

Versuch einer Entschuldigung

Ich gebe gerne zu, dass man bezüglich dieser Thematik absolut unterschiedlicher Meinung sein kann. Ich verlasse mich dabei auf meine anerzogenen Gewohnheiten sowie auf mein Bauchgefühl, und weniger auf musikwissenschaftliche Ansichten.

So quasi als Entschuldigung für meine Vorurteile möchte ich erwähnen, dass ich in einer Musikerfamilie aufgewachsen bin, die sich damals noch kaum intensiv mit der "authentischen" Wiedergabe barocker Werke auseinandersetzte. Doch ab und zu hörte ich meinen Vater sagen, dass es höchst interessant wäre, zurückversetzt in die Vergangenheit einmal J. S. Bach live an einem Konzert zu hören. Und um herauszufinden, wie das klänge, haben Musikwissenschaftler während langer Jahre geforscht und sind teilweise zu seltsamen Erkenntnissen gekommen.

Wie ein Ton entsteht

Bei allen Zupf- und Schlaginstrumenten setzt der Ton mit einem das Instrument charakterisierenden Impuls ein und verklingt dann allmählich. So hat sich unser Klangempfinden sehr an diese Art von Klangabläufen gewöhnt und empfindet dies als "natürlich". Passiert genau das umgekehrte – wird also ein Ton mit der Zeit lauter – wirkt das eher unnatürlich. Das kann man leicht nachprüfen, wenn man eine Aufnahme rückwärts laufenlässt. Aus einem PING wird dann ein GNIP. Das klingt nun mindestens mal ganz anders als bisher und kann bestens als "Verkaufsargument" benutzt werden.

Vom "Kalb machen" zur Religion

Während meiner Ausbildung am Konservatorium Zürich genoss ich eine konventionelle Ausbildung und lernte unter anderem, was man als Musiker tunlichst vermeiden sollte. Dazu gehört das weiter oben erwähnte, rülpsende Nachdrücken der Töne, das wir als Jugendliche im Übermut zelebrierten, um einfach mal so zum Spass ganz scheusslich zu spielen und die Erwachsenen zu nerven. Hätte ich meinem Trompetenlehrer meine Konzertstudien im erwähnten Stil vorgetragen, er hätte mich augenblicklich aus der Musikstunde geworfen, wäre zu meinem Vater, ebenfalls Lehrer am Konservatorium, geeilt und hätte ihm geklagt, ich mache in der Stunde "das Kalb", nähme ihn nicht ernst, und man solle mir gefälligst Manieren beibringen. Und heute wurde aus "dem Kalb machen" eine Religion. Doch wie heisst es so schön: Die Erkenntnis von heute ist der Irrtum von morgen.

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