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Publikationsdatum
29. Mai 2000
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Aufgeschlossene Leute sprechen von MP3, Internet, DVD und anderen topaktuellen Dingen die den Markt heute prägen. Daneben gibt es aber auch eine nicht allzu kleine Schar von ewiggestrigen Musikliebhabern die immer noch vom wunderschönen Klang der guten alten Vinylplatte und von einer Verstärkertechnik schwärmen, die eigentlich längst ausgestorben sein sollte.

Das Phänomen - Röhrenverstärker

Wie der Titel dieses Artikels zeigt, sind die folgenden Zeilen einem Phänomen gewidmet, das nicht nur Leute welche die moderne Technik verabscheuen, sondern auch die Programmierer modernster, digitaler Musik-Effektgeräte fasziniert. Dies zeigte ganz klar: Der sogenannte "Röhrensound" ist immer noch "in" und erfreut sich konstanter Beliebtheit.

Rein technisch gesehen haben Röhrenverstärker zur Wiedergabe von Musik in der Tat schon lange keine Daseinsberechtigung mehr: Sie sind gross, schwer und teuer, werden sehr warm und verschlingen zudem nicht gerade wenig Strom. Während sich die Transistoren nicht abnutzen, solange man sie nicht überhitzt, haben Röhren eine begrenzte Lebensdauer.

Was also kann auch umweltbewusste Musikhörer dazu bewegen, ihre guten Stuben sogar an warmen Sommerabenden zusätzlich mit solch fossilen Stromfressern aufzuheizen?

Wer diese Frage einem Röhrenfan stellt, erntet in der Regel nur ein mitleidiges Lächeln, denn diese Spezies von Musikgourmets sind überzeugt, dass es keinem Transistorverstärker jemals gelingen wird, das traumhaft schöne, warme und runde Klangtimbre der Röhre in den Abhörraum zu zaubern. Ich werde hier nicht versuchen mit Kennlinien von Röhren und Transistoren, sowie anhand von Analysen des Oberwellenspektrums irgendwelche unwiderlegbaren Theorien aufzustellen, sondern lediglich beschreiben, was einem beim Umgang mit diesen beiden Verstärkertypen auffällt.

Schön klingende Verzerrungen

Quad II Röhrenendstufen aus den 60er Jahren. Beim Autor zu Hause jeden Tag im Einsatz
Quad II Röhrenendstufen aus den 60er Jahren. Beim Autor zu Hause jeden Tag im Einsatz
Bei professionell durchgeführten Hörtests haben kritischste Testpersonen mit ihren geschärften Ohren die Aufgabe klangliche Empfindungen auf ihre Testblätter zu notieren. Die Messtechniker haben anschliessend die Aufgabe, die gehörten Eigenschaften messtechnisch nachzuvollziehen, was nicht immer gelingt.

Der grosse Witz an der ganzen Sache ist nun, dass der Verstärker, welcher das Musiksignal weitaus mehr verzerrt, scheinbar besser klingt! Verzerrungen sind bekanntlich Signalverformungen die zu meist unerwünschten zusätzlichen Obertönen führen. Während der Transistorverstärker extrem leise, aber nicht sehr schön klingende Obertöne produziert, liefert der Röhrenverstärker stärkere, für unser Gehör jedoch angenehme Oberwellen. Ein Klang der relativ starke und harmonische Oberwellen besitzt, klingt eben für unser Gehör charaktervoller.

Bei diesen sogenannten Klirreffekten kommt es also nicht auf deren Stärke, sondern auf deren Zusammensetzung an, ob sie von unserem Gehör als angenehm, oder unangenehm empfunden werden. Die Kritiker der Röhrenverstärker bezeichnen diese zusätzlichen und angenehmen Obertöne jedoch schlicht als Klangverfärbung. Aber mit dem Klang ist es wie mit der Mode: Über den Geschmack lässt sich bekanntlich streiten...

Transistor- und Röhrenklang

Röhrensound vom Computer erzeugt: Virtuelle Röhrenmasteringstools von T-Racks. oben: Röhre-Equalizer mitte: Röhren-Kompressor unten: Röhren-Amp/Limiter mit Overdrive (Screenshot)
Röhrensound vom Computer erzeugt: Virtuelle Röhrenmasteringstools von T-Racks. oben: Röhre-Equalizer mitte: Röhren-Kompressor unten: Röhren-Amp/Limiter mit Overdrive (Screenshot)
Als die Transistorverstärker in den sechziger Jahren die Röhren ablösten, war ihr Klang alles andere als schön und man sprach abschätzig vom kalten und lieblosen Transistorklang. Doch mit der Zeit lernten die Konstrukteure, wie man ausgezeichnet klingende Transistorverstärker macht. Auch nach 40 Jahren Erfahrung im Bau von Transistorverstärkern, klingen diese beiden Verstärkertypen immer noch sehr unterschiedlich.Ganz generell darf man feststellen, dass Transistorverstärker gerade im Bass präziser, in den Mitten aber auch nüchterner als Röhren klingen. Hört man sich die Wiedergaben von menschlichen Stimmen und Streichinstrumenten an, so kann der Röhrenverstärker den Hörer durch warme, sehr feinfühlige, nie rauhe, oder gar grelle Klänge in den Bann ziehen.

Sehr oft wird auch mit Erfolg versucht, gewissen eher hart klingenden Digitalaufnahmen durch die Röhrencharakteristik etwas klangliche Wärme einzuhauchen. So findet man Röhrenverstärker nicht nur im Heim-, sondern auch im Profibereich.

Heute wird ja - man höre und staune - in gewissen digitalen Profi-Effektgeräten versucht, den Röhrenklang auf digitalem Wege in einem Computer zu simulieren. So ist es möglich, auf synthetischem Wege jedem Klangmaterial bei Bedarf etwas Röhrenklang beizugeben. Wenn das kein Kompliment für die gute, alte Röhre ist...

Die Kombination macht es aus

Der McIntosh MC2000 Röhrenverstärker wurde zum 50jährigen Jubiläum dieser Firma in einer begrenzten Stückzahl produziert
Der McIntosh MC2000 Röhrenverstärker wurde zum 50jährigen Jubiläum dieser Firma in einer begrenzten Stückzahl produziert
Wenn es um hohe Verstärkerleistung geht, dann wird’s mit Röhren brenzlig. Die Kosten, das Gewicht und die Grösse solcher Röhrenmonster steigen dann ins Unermessliche und mit Vorteil setzt man in solchen Fällen Transistorverstärker ein.

So empfiehlt es sich mit Röhrenverstärkern vor allem Lautsprecher zu kombinieren die nicht zu den "Leistungsfressern" gehören, also solche, die auch mit geringer Verstärkerleistung die gewünschten Schallpegel erzielen können.

Kritisch kann zum Beispiel die Kombination eines hochwertigen elektrostatischen Lautsprechers mit geringer Empfindlichkeit ( zB. 80 dB) und einem Röhrenverstärker mit 2X15 Watt Leistung sein. Mit grösster Sicherheit wird diese Kombination bei den markanten Attacken eines Konzertflügels zu klirren beginnen, denn auch ein stark überforderter Röhrenverstärker klingt alles andere als angenehm. Gepaart mit einem hochempfindlichen Lautsprecher (Empfindlichkeit über 90 dB) vermag aber auch ein Röhrenverstärker mit mittlerer Potenz normale Wohnräume mit einem eindrucksvollen Klangvolumen zu beschallen.

Zu den Kosten darf man bemerken, dass es kaum "billige" Röhrenverstärker unter Fr. 2000.- gibt. Die einzige Ausnahme ist der aus Fernost stammende AMC 3030A (Preis: sFr.1790.-), der leider wie ein moderner Transistorverstärker aussieht, optisch also keine Röhrenromantik ausstrahlt, aber wie ein echter Röhrenverstärker klingt. Röhrenbijous von renommierten Marken wie Quad, McIntosh, Conrad Johnson und wie sie alle heissen, kosten locker mehrere tausend Franken. Dafür bekommt man jedoch traumhaft schöne Geräte, die den Musikgenuss erheblich steigern können. Denn wie heisst es doch so schön: Man hört auch mit den Augen...

Fazit

Die Diskussion, ob nun der Transistor- oder der Röhrenverstärker "besser" klingt wird auch in diesem Jahrtausend nicht verstummen.

Dies ist auch gut so, denn wie langweilig wäre es doch, wenn eine Geige wie die andere klingen und alle Musiker gleich spielen würden. So darf man vielleicht ganz generell behaupten, dass der Transistorverstärker über alles gesehen präziser, der Röhrenverstärker aber eben subjektiv "schöner" klingt.