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Publikationsdatum
3. Juli 2006
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Während das seit Jahren lustlos vor sich hindümpelnde terrestrische Digital Radio DAB momentan dank dem Einsatz der SRG und vor allem der Gerätehersteller etwas im Aufwind ist, kommt die Nachricht von einem weiteren Digitalradio gerade zum richtigen Zeitpunkt, um den Konsumenten total zu verwirren und ihn zum Konsumverweigerer zu machen.

Um dies zu verhindern, sei hier mit aller Deutlichkeit festgestellt, dass es sich hier nicht um die offizielle Einführung eines neuen Digitalradios neben dem bestehenden DAB in der Schweiz oder Europa handelt, sondern um einen rund zwei Jahre dauernden Feldversuch des sich in den USA rasch verbreitenden HD-Radios.

Medienkonferenz in Luzern

So lud die Ruoss AG, die sich auf das Consulting im Bereich elektronischer Medien spezialisiert hat, die Medien aus der Schweiz und Nachbarländern nach Luzern ins Verkehrshaus ein, um sie über den ersten Feldversuch des HD-Radios in Europa zu informieren.

Dank einer breiten Palette von Sponsoren sowie dem Einsatz der Ruoss AG und Radio Sunshine kann dieser Versuch über einen längeren Zeitraum (Frühjahr 2006 bis Herbst 2007) und unter realen Bedingungen durchgeführt werden.

Die Initianten dieses Feldversuchs unter der Leitung von Elektro- und Fernmeldeingenieur Markus Ruoss - Gründer und Mehrheitsaktionär von Radio Sunshine - erhoffen sich aussagekräftige Messresultate und Betriebserfahrungen, welche für die weitere Beurteilung der Eignung von HD-Radio in Europa wichtig sind.

Radio Sunshine als Versuchskarnickel

Auf einem Teil der bestehenden UKW-Frequenzen von Radio Sunshine werden während eines bestimmten Zeitraumes technische HD-Radio-Versuche durchgeführt.

Zusätzlich zum heute analogen Programm von Radio Sunshine soll das gleiche Programm digital übertragen und mit zusätzlichen Radioprogrammen sowie einfachen Datendiensten ergänzt werden

Die Zusatzprogramme können nur mit HD-Radio tauglichen Geräten empfangen werden. Damit entfällt für den Normalhörer die Möglichkeit, an diesen Feldversuchen teilzunehmen.

Was ist HD-Radio?

HD-Radio ist ein von der Firma iBiquity Digital entwickelter Radio-Standard in den USA, welcher es erlaubt, auf der gleichen Frequenz eines Mittelwellen- oder UKW-Senders dasselbe Programm in "digitaler Qualität" plus zusätzliche Programme oder Datendienste im Huckepack-Verfahren mit zu übertragen.

So ist denn die ganze Angelegenheit auch rückwärtskompatibel: Der User eines konventionellen, analogen Tuners merkt von der ganze Sache nichts und derjenige mit einem HD-Radio tüchtigen Gerät kommt auf derselben Sende-Frequenz in den Genuss der digitalen Übertragung.

Die HD-Radio-Leute stellen sich das so vor, dass der anfängliche analog-digitale Hybridbetrieb nach abgeschlossener Einführung von HD-Radio in einen rein digitalen Betrieb überführt wird. (Das wäre dann beim Abschalten des analogen UKW Sendernetzes am Sankt-Nimmerleinstag der Fall!)

Im rein digitalen Betrieb steht eine wesentlich grössere Datenrate zur Verfügung, welche entweder zur Übertragung einer grösseren Anzahl Programme, besserer Klangqualität oder einer grösseren Menge von Zusatzdaten genutzt werden kann.

Die Nettodatenrate für das digitale Audiosignal ist im Hybridbetrieb kleiner als bei DAB. Sie liegt bei 96 kB/s und soll - dank modernster Datenreduktiosverfahren mit dem anerkannt guten aacPlus - aber eine mit analogem UKW oder MP3 128 kB/s vergleichbare Qualität bieten können.

Vorteile von HD-Radio:

JVC präsentierte an der CES in Las Vegas Januar 06 bereits die 2. Generation Auto-HD-Radioempfänger
- Gleiche Frequenz und gleiche Grund-Infrastruktur wie bisher
- NISV-Problematik (Probleme mit nichtionisiernder Strahlung) praktisch nicht vorhanden
- Guter Indoor Portable Empfang machbar
- Zusatzdienste auf gewohnter Frequenz möglich
- Nur kleine Planungsmassnahmen nötig - keine UKW-Neuplanung
- Rückwärtskompatibel zu UKW
- Langsame Evolution ohne grosse Kosten
- Deutlich günstigste Lösung bei kleinen Verbreitungsgebieten.
- Weiterverbreitung auch auf Kabelfernsehen und UKW möglich

Dank Multicasting kann die Anzahl Programme auf der gleichen Frequenz bis auf 5 Programme mit frei wählbaren Übertragungsraten (Qualitäten) gewählt werden. Es können auch Bilder, Titel- und Künstlernamen, Wetterdienste etc. übertragen werden.

Situation USA

Laut Markus Ruoss sollen in den USA bereits rund 1000 Mittelwellen (AM) und UKW Sender (FM) auf HD-Radio umgerüstet worden sein. Das ist recht viel. Doch gilt es zu berücksichtigen, dass dies weniger als ein Zehntel der US-Sender sind. Weiter sind aber bereits weitere 2000 Stationen (Stand Juni 06) daran, sich auf HD-Radio umzurüsten. Mit diesen 3000 Stationen können bereits rund 90% der amerikanischen Bevölkerung erreicht werden.

Was passiert in der Schweiz?

HD-Radio wird momentan in der Schweiz im Feldversuch erprobt. Diese Feldversuche sollen im Zeitraum von Frühjahr 2006 bis Herbst 2007 in einem schwierig zu versorgenden Gelände der Radiobranche und den Behörden die Möglichkeiten dieses Systems aufzeigen.

Der mögliche Fahrplan des HD-Radio Europa sieht folgendermassen aus:
2006 weitere Versuche und Studien
2007 Schlussbericht zu handen BAKOM
2008 Einführungsrichtlinien
2009 System Bewilligung durch die Behörden
2010 Sendebeginn der meisten Privatradios CH

Die HD-Radio-Promoter meinen: Wenn sich "alle etwas beeilen", dann ist es frühestens 2008 realistisch möglich, HD-Radio in der Schweiz zu hören.

Hochauflösend ?

Die Bezeichnungen "High Definition" und der völlig sinnlose Begriff "digitale Qualität" werden von den HD-Radio-Promotern ebenso missbraucht, wie der Begriff "HighFidelity" von vielen Anbietern qualitativ minderwertiger Henkelware.

Unter "High Definition" verstand man bis vor kurzem noch "hochauflösend" , also Bitzahlen und Samplingfrequenzen die über dem CD-Standard mit 44.1 kHz und 16 Bit angesiedelt sind. Denken wir an die kürzlich unter tragischen Umständen verstorbene DVD-Audio mit 96kHz/24Bit (oder sogar noch höheren Samplingfrequenzen) und auch an die jämmerlich dahinsiechende SACD mit einem hochauflösenden 1-Bit-System mit echten High-Definition-Qualitäten.

Doch von "High Definition" sollte man beim HD-Radio, trotz genialer aacPlus Datenreduktion, erst bei wesentlich höheren Datenraten als 96 kB/s sprechen.

Laut Markus Ruoss will man mit dem HD-Radio kein audiophiles Radio für eine Minderheit, sondern normales Radio für Jedermann machen.

3 Möglichkeiten

HD-Radio kann mit drei unterschiedlichen Arbeitsweisen auch unterschiedliche Qualitäten und Möglichkeiten liefern:

Im "Standard FM-HD-Betrieb" steht eine Übertragungsrate von 96 kB/s zur Verfügung, die zum Beispiel so aufgeteilt werde kann: 48 kB/s Hauptprogramm, 32 kB/s Zweitprogramm, 16 kB/s Wetterdienst etc.

Der "Extendet Hybrid und Multicast-Mode" liefert zusätzliche 24 kB/s, die man für mehr Programme, bessere Audioqualität oder sogar 5.1 Surround Sound einsetzen kann.

Beim "FM HD RadioFull Digital Mode", entfällt die analoge Information und es wäre möglich, schliesslich doch noch High-Definition-ähnliche Qualität mit maximal 300 kB/s zu liefern....

Wiedergabe-Geräte

Tischgeräte von Polk Audi und Boston aus den USA
Handelsüblich Geräte aus den USA waren folgende zu bestaunen:
Autoradio mit HD-Radioempfängern von JVC und Kenwood, Tischgeräte von Polk Audio und von und Boston.

Boston bringt mit dem Tischradio "Receptor Radio HD" laut eigenen Angaben "The world's first HD table radio". Er kann alle analogen Mittelwellen- und UKW Stationen wie auch die HD-Radio-Sendungen empfangen.

Hätte das HD-Radio in der Schweiz Erfolg, müssten zukünftige digitale Radios neben DAB auch noch HD-Radio empfangen können.

Geräte aus den USA in die Schweiz zu bringen ist nur dann sinnvoll, wenn neben der Netzspannung auch die Entzerrung des UKW-Frequenzganges auf die europäische Norm umgestellt werden kann.

Die Preise der HD-Radio-tüchtigen Geräte sind nur unwesentlich höher als konventionelle FM-Geräte. Man spricht von ca. 30 bis 45 Dollar Aufpreis.

Überzeugende Demo

Markus Ruoss demonstriert die Stärken des HD-Radios anlässlich einer Testrundfahrt in der Zentralschweiz.
In einer HD-Radio Bus Tour durch die Zentralschweiz gab Markus Ruoss eine überzeugende Show von den Fähigkeiten des HD-Radio. In dieser topologisch schwierigen Umgebung werden Teilgebiete mangels Sichtverbindung zum Sender im analogen UKW-Betrieb schlecht oder meist gar nicht versogt.

Anders als der analoge UKW-Empfang, der bei schwächer werdendem Signal immer schlechter wird, klingt das digitale Programm bis zu einer gewissen Grenze absolut sauber und bricht dann plötzlich ab.

Um eine totale Funkstille zu vermeiden, schaltet das HD-Radio in solchen Fällen automatisch auf den analogen UKW Empfang. Der ist dann zwar meist verzerrt, Sprache kann jedoch noch gut verständlich sein.

Auf einen simulierten Störsender - fast auf der gleichen Frequenz - reagierte UKW mit einem totalen Klangchaos. Der Digital-Empfang blieb dabei total ungestört!

Insgesamt konnte die Demo überzeugen und so dürfte das HD-Radio nicht nur im Büro oder zu Hause, sondern auch im fahrenden Auto seine Berechtigung haben.

Fazit

Ob sich das in den USA erfolgreiche HD-Radio in Europa durchsetzen kann, wird sich erst in den nächsten paar Jahren erweisen. Das System hat seine unbestreitbaren Vorteile, von denen sowohl Sendeanstalten mit knapper Kasse wie auch Konsumenten - nicht zuletzt wegen der Rückwärtskompatibilität - profitieren könnten.

weitere Infos:

www.hd-radio.ch